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Risskante

Göttingen, Kerstlingeröder Feld

Das Kerstlingeröder Feld ist eine heute fast 200 ha große Freifläche im Göttinger Wald. Die Rodung des Waldes für die landwirtschaftliche Nutzung erfolgte bereits im frühen Mittelalter. Im 20. Jahrhundert diente das Gebiet längere Zeit als Truppenübungsplatz. Heute ist es als Lebensraum zahlreicher seltener Tiere und Pflanzen unter Naturschutz gestellt und wird von der Göttinger Bevölkerung als Naherholungsgebiet genutzt. Der Göttinger Hainbund, eine die Natur verehrende, zum Sturm und Drang tendierende literarische Gruppe im Deutschland des 18. Jahrhunderts, gründete sich hier am 12. September 1772. Die Gründungsmitglieder hatten sich teils durch ihre Beiträge zur literarischen Zeitschrift „Göttinger Musenalmanach“ kennengelernt, teils durch ihr gemeinsames Studium. Spätestens ab 1772 war der Musenalmanach dann das Sprachrohr des Hainbundes. Die Göttinger Hainbündler selbst haben ihre Gedichte im handschriftlich erhaltenen, zweibändigen „Bundesbuch“ gesammelt. In Friedrich Gottlieb Klopstock fanden die Göttinger eine Vorbild- und Vaterfigur. Die Bezeichnung „Hainbund“ geht auf Klopstocks Ode „Der Hügel und der Hain“ zurück. Mit ihrer Verehrung für ihn grenzten sie sich gleichzeitig gegen Christoph Martin Wieland und seinen ironisch-besonnenen Stil ab. Am 2. Juli 1773, Klopstocks 49. Geburtstag, den die Mitglieder des Hains ausgiebig feierten, kam es zu einer Verbrennung von Wielands Werken. Auf seiner Durchreise ließ sich Klopstock 1774 von den Mitgliedern des Hainbundes feiern. 1775 löste sich der Hainbund auf, da seine Mitglieder das Studium beendeten und Göttingen verließen.

Der Hügel, und der Hain, 1767

Ein Poet, ein Dichter, und ein Barde singen.


Poet.

Was horchest du unter dem weitverbreiteten Flügel der Nacht

Dem fernen sterbendem Wiederhalle des Bardengesangs?

Höre mich! Mich hörten die Welteroberer einst!

Und viel Olympiaden hörtet, ihr Celten, mich schon!

 

Dichter.

Lass mich weinen, Schatten!

Lass die goldene Leyer schweigen!

Auch meinem Vaterlande sangen Barden,

Und ach! ihr Gesang ist nicht mehr!

 

Lass mich weinen!

Lange Jahrhunderte schon

Hat ihn in ihre Nacht hinab

Gestürzt die Vergessenheit!

Und in öden dunkeln Trümmern

Der alten Celtensprache,

Seufzen nur einige seiner leisen Laute,

Wie um Gräber Todesstimmen seufzen.

 

Poet.

Töne dem Klager, goldene Leyer!

Was weinest du in die öde Trümmer hinab?

War er der langen Jahrhunderte meines Gesanges werth;

Warum ging er unter?

 

Dichter.

 

Die Helden kämpften! Ihr nantet sie Götter und Titanen.

Wenn jetzo die Aegis nicht klang, und die geworfenen Felsenlasten

Ruhten, und Jupiter der Gott, mit dem Titan Enzeladus sprach;

So scholl in den Klüften des Pelion die Sprache des Bardengesangs!

 

Ha du schwindelst vor Stolz

An deinem jüngeren Lorber;

Warf, und weisst du das nicht? auch ungerecht

Nicht oft die Vergessenheit ihr Todesloos?

Noch rauschest du stets mit Geniusfluge die Saiten herab!

Lang kenn' ich deine Silbertöne,

Schweig! Ich bilde mir ein Bild,

Jenes feurigen Naturgesangs!

 

Unumschränkter ist in deinem, Herscherin,

Als in des Barden Gesange die Kunst!

Oft stammelst du nur die Stimme der Natur;

Er tönet sie laut ins erschütterte Herz!

 

O Bild, das jetzt mit den Fittigen der Morgenröthe schwebt!

Jetzt in Wolken gehüllt, mit des Meers hohen Woge steigt!

Jetzt den sanften Liedestanz

Tanzt in dem Schimmer der Sommermondnacht!

 

Wenn dich nicht gern, wer denket, und fühlt,

Zum Genossen seiner Einsamkeit wählt;

So erhebe sich aus der Trümmern Nacht der Barden einer,

Erschein', und vernichte dich!

Lass fliegen, o Schatten, deinen Zaubergesang

Den mächtigsten Flug,

Und rufe mir einen der Barden

Meines Vaterlands herauf!

 

Einen Herminoon,

Der unter den tausendjährigen

Eichen einst wandelte,

Unter deren alterndem Spross ich wandle.

 

Poet.

 

Ich beschwöre dich, o Norne, Vertilgerin,

Bey dem Haingesange, vor dem in Winfeld die Adler sanken!

Bey dem liedergeführten Brautlenzreihn: O sende mir herauf

Einen der Barden Teutoniens, einen Herminoon!

 

Ich hör' es in den Tiefen der Ferne rauschen!

Lauter tönet Wurdi's Quell dem kommenden!

Und die Schwäne heben sich vor ihm

Mit schnellerem Flügelschlag!

 

Dichter.

 

Wer komt? wer komt? Kriegerisch ertönt

Ihm die thatenvolle Telyn!

Eichenlaub schattet auf seine glühende Stirn!

Er ist, ach er ist ein Barde meines Vaterlands!

 

Barde.

 

Was zeigst du dem Ursohn meiner Enkel

Immer noch den stolzen Lorber am Ende deiner Bahn,

Grieche? Soll ihm umsonst von des Haines Höh

Der Eiche Wipfel winken?

 

Zwar aus Dämrung nur; denn ach! er sieht

In meiner Brust der wüthenden Wurdi Dolch!

Und mit der Eile des Sturms eilet vorüber der Augenblick,

Da ich ihm von der Barden Geheimnisse singen kann!

 

Poet.

 

Töne, Leyer, von der Grazie,

Den leichten Tritt an der Hand der Kunst geführt,

Und lass die Stimme der rauhen Natur

Des Dichters Ohre verstummen!

 

Barde.

 

Sing, Telyn, dem Dichter die schönere Grazie

Der seelenvollen Natur!

Gehorcht hat uns die Kunst! sie geschreckt,

Wollte sie herschen, mit hohem Blick die Natur!

 

Unter sparsamer Hand tönte Gemähld' herab,

Gestaltet mit kühnem Zug;

Tausendfältig, und wahr, und heiss! ein Taumel! ein Sturm!

Waren die Töne für das vielverlangende Herz!

 

Poet.

 

Lass, o Dichter, in deinem Gesang vom Olympus

Zeus donnern! mit dem silbernen Bogen tönen aus der Wolkennacht

Smintheus! Pan in dem Schilfe pfeifen, von Artemis

Schulter den vollen Köcher scheuchen das Reh.

 

Barde.

 

Ist Achäa der Thuiskone Vaterland?

Unter des weissen Teppichs Hülle ruh auf dem Friedenswagen

Hertha! Im blumenbestreuten Hain walle der Wagen bin,

Und bringe die Göttin zum Bade des einsamen Sees.

 

Die Zwillingsbrüder Alzes graben

In Felsen euch das Gesetz der heiligen Freundschaft:

Erst des hingehefteten Blickes lange Wahl,

Dann Bund auf ewig!

 

Es vereine Löbna voll Nossa's Reizen, und Wara

Wie Sait' und Gesang, die Lieb' und die Ehe! Braga töne

Von dem Schwert, gegen den Erobrer gezückt! und That

Des Friedens auch, und Gerechtigkeit lehr' euch Wodan!

 

Wenn nicht mehr in Walhalla die Helden Waffenspiel

Tanzen, nicht mehr von Braga's Lied' in der Freude

Süsse Träume gesungen, halten Siegesmahl,

Dann richtet auch die Helden Wodan!

 

Dichter.

 

Des Hügels Quell ertönet von Zeus,

Von Wodan, der Quell des Hains.

Weck' ich aus dem alten Untergange Götter

Zu Gemählden des fabelhaften Liedes auf;

 

Sie haben die in Teutoniens Hain

Edlere Züge für mich!

Mich weilet dann der Achäer Hügel nicht:

Ich geh zu dem Quell des Hains!

 

Poet.

 

Du wagst es, die Hörerin der Leyer,

Die in Lorberschatten herab

Von der Höhe fällt des Helikon,

Aganippe vorüber zu gehn?

 

Dichter.

 

Ich seh an den wehenden Lorber gelehnt,

Mit allen ihren goldenen Saiten,

O Grieche, deine Leyer stehn,

Und gehe vorüber!

 

Er hat sie gelehnt an den Eichenspross,

Des Weisen Sänger, und des Helden, Braga,

Die inhaltsvolle Telyn! Es weht

Um ihre Saiten, und sie tönt von sich selbst: Vaterland!

Ich höre des heiligen Namens Schall!

Durch alle Saiten rauschet es herab:

Vaterland! Wessen Lob singet nach der Wiederhall?

Komt Hermann dort in den Nächten des Hains?

 

Barde.

 

Ach Wurdi, dein Dolch! Sie ruft, sie ruft

Mich in ihre Tiefe zurück, hinunter, wo unbeweinbar

Auch die Edlen schweben, die für das Vaterland

Auf des Schildes blutige Blume sanken!

 

Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 280-288.

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