Objekt des Monats
Die Städtischen Museen und das Archiv der Welterbestadt Quedlinburg präsentieren jeden Monat ein ganz besonderes Objekt aus ihrer Sammlung. Entdeckt mit uns besondere Objekte der Museen und Sammlungen der Welterbestadt Quedlinburg!
„Zur Saecularfeier der Geburt Friedrich von Schiller's“, Radierung, 40x52 cm, Dresden 1859, Inventarnummer V/1904/K2 ©Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg.
Am 10. November feiert Friedrich Schiller seinen 265. Geburtstag. Im Gegensatz zu anderen klassischen deutschen Dichtern war er niemals nachweislich in Quedlinburg oder im Harz. Gelesen, gespielt und geliebt wurde er hier aber sehr wohl. 1859 feierte man seinen 100. Geburtstag in ganz Europa, ja selbst in den USA. An allen deutschen Hochschulen und Universitäten wurde des Tages gedacht. In über 440 deutschen und 50 nichtdeutschen Städten fanden Schillerfeiern mit Aufmärschen und Fackelzügen statt. Es war das größte Fest, das in Deutschland jemals zu Ehren eines Dichters gefeiert wurde. Ein Zeugnis dieser Verehrung des Dichters ist das Gedenkblatt „Zur Saecularfeier der Geburt Friedrich von Schiller‘s“ zum 100-jährigen Geburtstag des Dichters am 10. November 1859 aus den Städtischen Sammlungen der Welterbestadt Quedlinburg.
Die Grafik ist aufgebaut wie ein stilisiertes Epitaph mit architektonischen Elementen des Klassizismus sowie darin eingepasste Bildszenen. Die bekannte Porträtbüste Schillers von Johann Heinrich Danneker ist mittig abgebildet mit dem Bildhauer selbst danebenstehend. Darunter steht: "Ich will Schiller lebig machen, aber der kann nicht anders lebig werden als kolossal!“. Danneker zählt zu den bedeutendsten Vertretern des schwäbischen Klassizismus. Den Schriftsteller und den Bildhauer verband seit ihrer Jugend eine innige Freundschaft. Die Büste ist umgeben von den Titeln der wichtigsten Werke Schillers und von Szenen aus seinem Leben wie der Schulzeit in der Karlsschule, der Flucht vor Herzog Karl Eugen oder dem Freundschaftsbund mit Goethe und Körner. Im unteren Bereich ist das Weimarer Schiller-Goethe-Denkmal abgebildet.
Mehrere Künstler haben dieses Kunstwerk gemeinsam geschaffen, wie aus den gedruckten Angaben unterhalb des Bildes hervorgeht. In der linken unteren Ecke steht: „Erfunden und gez. v. Theobald von Oer. Architectur von H. Wiedemann“ und in der rechten unteren Ecke steht: „Radirt von H. Bürkner. Architectur von F.C. Schmidt“.
Gedruckt wurde die Grafik bei Heinrich Wilhelm Clemens Blochmann in Dresden. Dessen Hauptgeschäft war der Zeitungsdruck. 1859 übernahm er eine Kunst-Kupferdruckerei, in der die Grafik für Schillers Geburtstag angefertigt wurde.
Auch wenn Schiller nie in Quedlinburg war, steht sein Werk auf dem Fundament, das Friedrich Gottlieb Klopstock für die deutsche Dichtkunst legte. 1782 schrieb Schiller das Gedicht „Klopstock und Wieland – als ihre Silhouetten nebeneinander hingen“ – eine Hommage an beide Dichter.
Einzugsfeier des 5. Hannoverschen Infanterie Regiments Nr. 165 am 1. Oktober 1909, Fotografie, 110x85cm, Otto Wendt, Quedlinburg 1909. Inv.-Nr. 1315/S3 © Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg.
Am 1. Oktober 1909 bekam Quedlinburg eine neue Garnison. Das 5. Hannoversche Infanterie Regiment Nr. 165 wurde von Goslar nach Quedlinburg verlegt und zog jubelnd empfangen von den Quedlinburger Bürgern ein. Das erste Bataillon und der Regimentsstab kamen um 11 Uhr vormittags in Quedlinburg an. Schon vor den Toren der Stadt empfingen sie die Schwadronen der in Quedlinburg stationierten Seydlitz Kürassiere mit ihren Regimentsmusikern zu Pferde, der Krieger- und Landwehrverein, der Militärverein und die Sanitätskolonne. Der Vorsitzende des Kreiskriegerverbandes Quedlinburg begrüßte das Regiment mit einer kurzen Ansprache, danach zogen alle begleitet von vier Musikkapellen über die geschmückte Bahnhofsbrücke in die Stadt. Schon auf dem Bahnhofsplatz hatte eine dicht gedrängte Menschenmenge Aufstellung genommen. Kopf an Kopf reihten sich Schaulustige an den reich mit Blumen, Tannengrün und Waldbäumchen geschmückten Straßen. Der Tross zog weiter durch die Bahnhofsstraße, die Heilige Geiststraße und die Steinbrücke zum Markt.
Das Foto zeigt die Einzugsfeier auf dem festlich geschmückten Marktplatz, wo der Magistrat der Stadt und dicht gedrängte Zuschauer die Truppe ehrenvoll und jubelnd begrüßen.
Auf der Seite der Breiten Straße sind die Seydlitz Kürassiere und ihre Regimentsmusiker zu Pferde zu sehen. Das 5. Hannoversche Infanterie Regiment steht gegenüber dem Rathaus in Kompaniefronten, dahinter gruppieren sich die Militärvereine. Rechts im Bild, auf der Rathaustreppe, stehen die Ratsmitglieder und Oberbürgermeister Ernst Bansi (ohne Kopfbedeckung).
Mehrere Jahre hatte der Rat der Stadt mit dem preußischen Kriegsministerium um die Stationierung eines Regiments in Quedlinburg verhandelt. Eine Garnison zu haben und Soldaten zu beherbergen war damals nicht nur eine Frage des Stolzes sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Das Kriegsministerium stimmte der Stationierung zu, forderte jedoch eine angemessene Kaserne. So begannen am 10. Oktober 1906 die Baumaßnahmen für die neue Infanterie-Kaserne in Quedlinburg auf dem Areal zwischen Halberstädter Straße, Schillerstraße und Gneisenaustraße.
Bekannte Mitglieder des Infanterie Regiments waren der Musiker Emil Radochla und der Hauptmann Ernst Ludwig Gruson. Am 2. August 1914 zog das Regiment in den Ersten Weltkrieg an die Westfront. Am 24. Dezember 1918 erreichten die Reste der Truppe Quedlinburg. Im April 1919 wurde das Regiment aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages aufgelöst.
Einige der Kasernengebäude stehen heute noch und sind zum Teil Wohnungen und zum Teil Sitz der Stadtverwaltung (Technisches Rathaus, Museumsverwaltung, Archiv). Die anderen Gebäude wurden Anfang der 1990er Jahre abgerissen.
Das großformatige Foto in originalem Rahmen ist als Leihgabe beim Garnisonsverein Quedlinburg und kann in dessen Ausstellung am Schiffbleek besichtigt werden. Die Öffnungszeiten werden im Veranstaltungskalender auf der Website www.quedlinburg.de veröffentlicht.
Äbtissin Elisabeth II., Gräfin von Regenstein-Blankenburg, 1581, Melchior Lorch zugeschrieben, Tempera auf Holz, H 70cm, B 55cm, Inv.Nr. V/98/K1; Foto: © Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg.
Äbtissin Elisabeth II., Gräfin von Regenstein Blankenburg (*1542/1543, Ⴕ 20. Juli 1584) war die Nichte ihrer Vorgängerin Anna II. Schon als sie vier Jahre alt war, brannte ihr Zuhause, das Blankenburger Schloss, und sie verlor ihre Mutter. Fortan wurde sie von ihrer Tante, Äbtissin Anna II., im Quedlinburger Damenstift erzogen. So lernte sie schon früh das Leben im Stift, die Arbeit und die Sorgen der Stiftsregierung kennen. 1565 wurde sie vom Stiftskapitel zur Koadjutorin des Stifts Quedlinburg und damit zur Nachfolgerin von Anna II. gewählt. Vor 450 Jahren, am 5. März 1574, wurde sie einen Tag nach dem Tod der Äbtissin Anna II., als neue Äbtissin eingeführt. Doch ihre legitime Wahl wurde vom Schutzherrn des Stiftes, Kurfürst August von Sachsen, nicht anerkannt. Als sie am 6. März 1574 von den Torwächtern die Schlüssel des Stiftes einforderte, um symbolisch wie praktisch die Herrschaft über den Stiftsbezirk zu übernehmen, wurden ihr diese kurz darauf vom Stiftshauptmann Hans von Wulffen wieder abgenommen. Anstelle des Stiftskapitels übernahm der Schutzvogt die Regierung. Für Elisabeth II. begann ein monatelanger Verhandlungskampf, in dem die männlichen Machthaber in die Befugnisse des Stiftes eingriffen und es unter ihren Einfluss brachten. Unter anderem beanspruchte der Schutzvogt ein Recht auf Mitbestimmung bei der Wahl künftiger Koadjutorinnen und Äbtissinnen sowie bei der Aufnahme neuer Stiftsdamen, zwei Drittel der Steuereinnahmen des Stiftes sowie das Mitspracherecht bei der Vergabe von Lehen. Elisabeth musste einlenken, da ihre Wahl zur Äbtissin sonst nicht anerkannt worden wäre. Der Kaiser, den sie um Hilfe anrief, bot ihr keine Unterstützung, sondern überließ die Entscheidungen allein dem Schutzherrn. Im August 1574 stimmte sie dem Vertrag zu und konnte ihr Amt als Äbtissin antreten. Durch die erzwungenen Mitbestimmungsrechte des Schutzvogtes wurde die innere Autonomie des Stiftes beendet. Die kaiserliche Konfirmation des Vertrages zwischen dem Kurfürsten und dem Stift beendete zugleich rechtlich gesehen die Reichsunmittelbarkeit des Stiftes.
Elisabeths Regierungszeit war von weiteren Herausforderungen geprägt: Eine große Schuldenlast, die ihre Vorgängerin hinterließ, verringerte Steuereinnahmen durch die erweiterten Befugnisse des Schutzherrn und eine Pestwelle, die im Jahr 1577 etwa 1177 Opfer forderte. Vielleicht erklärt das ihren wehmütigen Gesichtsausdruck, beinahe wie eine besorgte Mutter. Im Gemälde wirkt ihr Antlitz fast bäuerlich und steht in starkem Kontrast zu ihrem fürstlichen Gewand. Das schwarze Kleid mit aufgestützten Schulterbändern ist reich bedeckt mit goldenen Schmuckbroschen in Renaissancemuster, in deren Fassungen Rubine und Perlen sitzen. Das Untergewand hat weiße, seidene Ärmel mit überlegtem, gemustertem Tüll und an den Handgelenken fein gefalteten Rüschen. Sie trägt schweren Goldschmuck, zwei Perlenketten, und vom Hals hängt an einem durchsichtigen Seidenband eine kugelförmige Filigranbüchse, wie sie seinerzeit zur Mitnahme von kostbaren Riechstoffen benutzt wurde. Den Kopf bedeckt eine weiße Haube aus Tüll, im Stoff, ähnlich dem der Ärmel, der nur wenig von dem blonden Haar sehen lässt. Im Hintergrund ist das Wappen ihrer Herkunftsfamilie, der Grafen von Regenstein-Blankenburg abgebildet.
Was bleibt von Elisabeth II.? Etwas sehr Schönes für die heutige Generation: Der Garten auf dem Stiftsberg, der in ihrer nur 10-jährigen Regierungszeit angelegt wurde. 1584 – vor 440 Jahren – starb Elisabeth II. im Alter von 42 Jahren.
Das Klopstock Denkmal im Brühl im Jahr 2006 © Foto: Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg
2024 feiert die Welterbestadt Quedlinburg mit einer Festwoche den 300. Geburtstag von Friedrich Gottlieb Klopstock und bringt damit dem berühmten Dichter ihre Wertschätzung dar. Unser Objekt dieses Monats zeigt die große Wertschätzung des Dichters in seiner Geburtsstadt im 19. Jahrhundert. Zu seinem 100. Geburtstag 1824 wurde in seiner Taufkirche St. Servatii ein mit hochkarätigen Musikern der Zeit besetztes Musikfest organisiert, auf dem mit Genehmigung König Friedrich Wilhelms III. Spenden für die Errichtung eines Denkmals für den großen Dichter im Brühl gesammelt wurden. Zahlreiche hohe Gäste nahmen am Musikfest vom 1. bis zum 3. Juli 1824 teil, das auf dem Schloss, in der Stadt und auch am künftigen Standort des Denkmals im Brühl als Schauplatz einer Abendmusik stattfand. Die Einnahmen und Spenden allerdings reichten noch nicht aus, so dass der Quedlinburger Klopstock Verein weiterhin Geld sammelte und dann 1826 mit klaren Vorstellungen über den Standort, die Größe und die Gestalt die Verhandlungen mit dem damals bereits berühmten Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) zur Konzeption des Denkmals aufnehmen konnte. Für die gewünschte Bildnisbüste des Dichters wurde der Bildhauer Christian Friedrich Tieck (1776-1851) angefragt. Als Vorlage wurde die Büste Klopstocks vom Straßburger Bildhauer Landolin Ohmacht (1760-1834) von 1795 ausgewählt, die für die Walhalla bestimmt worden war. Es gab Schriftwechsel und Diskussionen mit Schinkel um den Standort und das Material, aber schließlich wurde am 7. Juli 1831, 28 Jahre nach Klopstocks Tod, das aufwändige Denkmal am Ende einer Sichtachse im Brühlpark feierlich eingeweiht. Der Klopstock-Verein hatte in Summe für die Errichtung dieses „nationalen Denkmals“ 3000 Taler gesammelt und aufgewandt.
Das Denkmal ist eine klassizistische Anlage mit einer dreiseitig umschlossenen und mit vier großen Bronzevasen gezierten Terrasse mit Bänken. Den hinteren Abschluss bildet eine von einem Giebel bekrönte Wand. Am Giebel ist die letzte Strophe aus Klopstocks Ode „Mein Wäldchen“ in Bronze angebracht, die Bezug auf die Liebe Klopstocks zur Natur nimmt. Vor dieser Rückwand steht auf einem marmornen Postament die bronzene Porträtbüste des Dichters.
Das Klopstock-Denkmal ist das älteste Denkmal im Brühlpark. Der Standort des Denkmals wurde 1831 mit Bedacht und mit Bezug auf das Wesen des großen Dichters gewählt, der die Natur im Brühl sehr schätzte. Noch bis in das 20. Jahrhundert hinein galt das Klopstock-Denkmal als eine wichtige Sehenswürdigkeit in Quedlinburg – zahlreiche historische Postkarten und Reiseberichte belegen dies. Heute ist das Denkmal stark sanierungsbedürftig. Zudem wurde die Klopstock Büste 2022 durch Vandalismus beschädigt und wartet seitdem im Depot der Städtischen Sammlungen auf ihre Restaurierung. Die Welterbestadt hat mehrere Förderanträge zur Sanierung des Denkmals gestellt, von denen einer abgelehnt und einer noch nicht beschieden ist. Für die notwendige Restaurierung des Denkmals hofft die Welterbestadt nach nun fast 200 Jahren erneut auf eine große bürgerschaftliche Unterstützung. Bei allen Veranstaltungen zum Klopstockjubiläum werden Spenden für die Restaurierung des Denkmals gesammelt, ebenso können Spenden mit dem Verwendungszweck „Spende Klopstock Denkmal“ auf folgende Konten der Welterbestadt Quedlinburg eingezahlt werden:
Commerzbank IBAN: DE28 8104 0000 0801 2411 00 BIC: COBADEFFXXX
Harzsparkasse IBAN: DE62 8105 2000 0399 7090 02 BIC: NOLADE21HRZ
Harzer Volksbank eG IBAN: DE18 8006 3508 2004 8246 00 BIC: GENODEF1QLB
Vielleicht gelingt erneut mit bürgerschaftlichem Engagement die Instandsetzung des Denkmals und eine besondere Art der Würdigung des großen Quedlinburger Dichters.
Am 12. Juni 1754, vor 270 Jahren, legte sie an der Universität Halle ihre Dissertation mit dem Titel „Quod nimis cito ac jucunde curare saepius fiat caussa minus tutae curationis“ ab. Um ihre Erkenntnisse auch Laien zugänglich zu machen, übersetzte sie sie 1755 selber auf Deutsch: „Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten“. Damit leistete sie noch zusätzlich einen Beitrag zur Bildung in breiteren Bevölkerungsschichten. Ihre Dissertation war eine Herausforderung für den damaligen medizinischen Betrieb, und zwar nicht nur durch die Tatsache, dass eine Frau sie verfasst hatte. Erxleben warnte darin vor den Gefahren überstürzter medizinischer Behandlungen und plädierte für eine gründlichere und bedachtere Herangehensweise in der Medizin, was sie als fachliche Expertin und Pionierin in der medizinischen Ethik auszeichnet.
Ihre Erfolge und die von ihr überwundenen Barrieren können heute, in einer Zeit, in der Fragen der Gleichberechtigung und des Zugangs zu Bildung weiterhin aktuell sind, als Inspirationsquelle dienen.
Für uns Quedlinburger bleibt Dorothea Erxleben nicht nur eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Welterbestadt, sondern ein historisches Idol und ein ständiger Ansporn, die Bildungschancen und Rechte aller Menschen zu fördern und zu verteidigen. Sie zeigt uns, wie wichtig es ist, für unsere Überzeugungen einzustehen und Hindernisse mit Mut und Entschlossenheit zu überwinden. Ihre Geschichte ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie tiefgreifend und nachhaltig die Beiträge einer einzelnen Person zur lokalen und globalen Geschichte sein können.
Interesse geweckt? Im Klopstockhaus gibt es einen Ausstellungsraum zu Dorothea Erxleben, der ihren Lebensweg und ihre Werke zeigt. Anlässlich des 270. Promotionsjubiläums veranstalten die Städtischen Museen eine Sonderführung am 13. Juni um 16 Uhr.
Guts Muths Denkmal, Postkarte, ca. 1904, Fotograf unbekannt, Inventarnummer V/463/S2 © Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg.
Am 20. Mai 1904, einen Tag vor dem 65. Todestag von Johann Christoph Friedrich GutsMuths, wurde ihm zu Ehren in seiner Heimatstadt Quedlinburg ein Denkmal errichtet. Es ist das einzige existierende Denkmal für den Begründer der neuzeitlichen Körperkultur und Erfinder des Schulsports. GutsMuth wurde am 9. August 1759 in der Pölle 39 geboren; seine Hauptwirkungsstätte war die Salzmann-Schule in Schnepfenthal (Thüringen). Dort übernahm er 1786 den Gymnastikunterricht und entwickelte Systematik, Leibesübungen und Turngeräte für das Schulfach, das heute „Sport“ genannt wird.
Die Initiative zur Errichtung des Denkmales geht auf die Deutschen Turnlehrer zurück, die 1898 einen Antrag stellten, GutsMuths ein Denkmal an seiner Wirkungsstätte zu errichten. Besonders der damalige Turnvereinsvorsitzende und Stadtrat H. C. Huch setzte sich für Quedlinburg ein, zumal Schnepfenthal ablehnte. Sein Nachfolger, Vereinsvorsitzender und Oberturnlehrer Otto Platz, war maßgeblich an der Auswahl des Standortes und des Künstlers beteiligt. Der Bildhauer Prof. Richard Anders, ein gebürtiger Quedlinburger, bekam den Zuschlag. Finanziert wurde das Denkmal von den Quedlinburger Bürgern, Turnlehrern und Turnvereinen. Ende 1900 startete ein öffentlicher Aufruf, Spenden für das Denkmal zu sammeln. Die Oberrealschule (heutiges GutsMuths Gymnasium) veranstaltete heimatgeschichtliche Laienspiele und spendete die Eintrittsgelder (1400 Mark); die fünf Quedlinburger Turnvereine sammelten 548,47 Mark; auswärtige Turner spendeten 4800 Mark und die Turnlehrer spendeten 800 Mark. Den ausstehenden Betrag von 6500 Mark einschließlich der Kosten für die feierliche Einweihung übernahm die Stadt Quedlinburg.
Das Objekt des Monats ist eine Postkarte mit einer Aufnahme des Denkmals, die kurz nach der Denkmalseinweihung entstand und das Denkmal in seiner ursprünglichen Form zeigt. Im zweiten Weltkrieg wurden die Einfassung und die vier Relieftafeln mit dem sie umgebenden Eichenlaub eingeschmolzen; 1989 wurden diese ersetzt. Am Fuß des Denkmales liegen Kränze, und auch die umgebenden Gebäude sind mit Girlanden geschmückt und erinnern an das Weihefest.
Die große Spendenbereitschaft und die Herausgabe von Postkarten mit dem Denkmalsmotiv zeigen die Bedeutung, die GutsMuths für die deutsche Turnerbewegung, für die Stadt und ihre Bürger hatte. Auch heute sind wir stolz auf GutsMuths, gedenken ihm mit einer Ausstellung im Klopstockhaus, einer Schule, die seinen Namen trägt und dem Verein TSG GutsMuths 1860 e. V., der den Geist des Turnens im Sinne des Gründervaters der deutschen Turnbewegung hoch hält und zahlreiche Möglichkeiten bietet, sich von früher Kindheit bis ins hohe Alter sportlich zu betätigen.
Porträt Äbtissin Annas II., geb. Gräfin zu Stolberg und Wernigerode, Öl auf Holz, ca. 1576, Inv.Nr. V/97/K1 © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Foto: Wolfgang Fischer.
Unser Objekt des Monats erinnert an den 450. Todestag von Äbtissin Anna II. zu Stolberg (1504-1574), die einen wichtigen Beitrag zur Einführung der Reformation in Stift und Stadt Quedlinburg leistete.
Deutlich erkennbar ist, dass es sich um ein Altersbild Annas II. handelt. Im Hintergrund ist ihre vollständige Titulatur, ihr Alter, die Dauer ihrer Regierung sowie das Todesdatum am 4. März 1574 mit der ungefähren Uhrzeit zwischen 11 und 12 Uhr mittags zu sehen. Das Wappenschild neben ihr verweist mit den Stolberger Hirschen und den Wernigeröder Forellen auf ihre gräfliche Herkunft. Die drei teils mit Edelsteinen besetzten goldenen Ringe an ihren Fingern, das prächtige Buch in ihren Händen und der goldene Armreif machen deutlich, dass wir eine adelige Stiftsdame und keine Nonne vor uns haben.
In der 865-jährigen Stiftsgeschichte herrschte keine andere Quedlinburger Äbtissin länger als Anna II., die bereits als 13jährige in ihr großes Amt eingeführt wurde und dieses 59 Jahre lang durch schwierige Zeiten führte. Aber auch aus anderen Gründen ist sie zu den bedeutendsten Herrscherinnen auf dem Stiftsberg zu zählen. So ließ sie zwei der drei heute noch erhaltenen Flügel des Schlosses neu erbauen, und nahm als erste Quedlinburger Äbtissin auf den Reichstagen Einfluss auf die große Politik, verbündete sich als zunehmend offen lutherische geistliche Landesherrin mit dem katholischen Kaiser und wies dadurch die mächtigen Schutzvögte ihres Stiftes in die Schranken. Der Fortbestand des Reichsstiftes nach der Reformation ist wesentlich ihr zu verdanken.
Einer Ratsrechnung des Jahres 1575/76 ist zu entnehmen, dass einem Halberstädter Maler für ein Bild von Anna II. die stattliche Summe von 4 Talern und 20 Groschen gezahlt wurde. Zum Vergleich: Der Jahreslohn des Stadtschreibers betrug etwa 20 Taler. Mit diesem ungefähr 1576 entstandenen Gemälde beginnt die sich über mehr als zwei Jahrhunderte erstreckende Reihe der erhaltenen 13 Bildnisse von Quedlinburger Äbtissinnen, die im neuen Stiftsbergensemble wieder an würdiger Stelle zu sehen sein werden.
Bildnis Albert Becker in: Fest-Zeitung für das 54. Bundes-Sängerfest der vereinigten norddeutschen Liedertafeln. Quedlinburg 10.-12. Juli 1903. Stadtarchiv Quedlinburg. Foto: © Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt Quedlinburg.
Die Tage des Februars sind noch dunkel und kalt – Musik kann helfen, das Herz zu wärmen und den Blick wiederaufzurichten, wie die Komposition zum Psalm 121 „Ich hebe meine Augen auf“ von Albert Becker. Albert Ernst Anton Becker war ein Quedlinburger Komponist der Romantik und seinerzeit eine Berühmtheit. Er wurde am 13.06.1834 in Quedlinburg in der Breiten Straße 29 geboren. Schon als Kind liebte er die Musik und das Singen und erhielt eine musikalische Ausbildung bei dem Organisten der Marktkirche St. Benedikti Hermann Bönicke (1821-1879), dem er zeitlebens verbunden war. Von 1853 bis 1856 studierte er Komposition in Berlin. Erste Anerkennungen für seine Kompositionen erhielt er 1861 beim Symphoniewettbewerb in Wien. Seinen Durchbruch erreichte er jedoch erst 1878 mit der Großen Messe in b-Moll, einer Auftragsarbeit zum 25-jährigen Jubiläum des Chores „Riedel-Verein“ in Leipzig. Becker komponierte darüber hinaus Motetten, Oratorien, Kantaten und Lieder, zum Beispiel nach Texten des Quedlinburger Dichters Julius Wolff (1834-1910) und des späteren Kultusministers Dr. Robert Bosse (1832-1901). Beide kannte er schon seit seiner Kindheit, denn sie waren seine Mitschüler am Quedlinburger Gymnasium. Ab 1884 wirkte er als Professor und Kompositionslehrer an der Akademie der Künste und war Mitglied ihres Senats. 1889 übernahm Becker die Leitung des Königlichen Domchores in Berlin. Drei Jahre später wurde er zum Thomaskantor in Leipzig berufen und wollte diesem Ruf zunächst folgen. Kaiser Wilhelm II. akzeptierte aber Beckers Entlassungsgesuch nicht, veranlasste eine Gehaltserhöhung und verlieh ihm den Kronenorden, so dass er in Berlin blieb. Dort starb Albert Becker am 10.01.1899 und wurde auf dem Friedhof des Domes bestattet.
1903 wurde auf Beschluss des Quedlinburger Stadtrates eine Gedenktafel an Beckers Quedlinburger Geburtshaus angebracht. Die große Verehrung, die Beckers Kompositionen für Chöre genossen, zeigt das Zitat eines Redakteurs der Festzeitung für das 54. Bundes-Sängerfest der vereinigten norddeutschen Liedertafeln: „Mögen denn auch Norddeutschlands wackere Sängerscharen immer wieder in die heiligen, schönen Tiefen der Albert Beckerschen Poesie hinabsteigen; es ruht in ihr ein bleibender Schatz von Trost und Erquickung und ein entzückender Reichtum von greifbarer Schönheit.“ Seine Musik ist 125 Jahre nach seinem Tod unvergessen und wird bis heute aufgeführt.
Der Volksbote für Quedlinburg und die Umgegend, Quedlinburger Wochenzeitung, Nr. 1, 02.01.1850, Autor S.B., Stadtarchiv Quedlinburg. Foto: © Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt Quedlinburg.
Zum neuen Jahre.
Es braust der Zeitsturm durch die Flur,
Verwischt ist nun die alte Spur,
Ein neues Jahr ist kommen.-
Der Zukunft Schleier noch verhüllt,
Was uns bisher blieb unerfüllt;
Wird´s nützen uns und frommen?-
Was Gott auch über uns verhängt,
Wie Er denn unser Schicksal lenkt,
Geduldig wir´s ertragen.
Den Kampf für Wahrheit, Recht und Pflicht,
Wer zögert noch, besteht ihn nicht
In unsern schweren Tagen? –
Recht thun, und dabei niemand scheu´n,
Stets seines Lebens sich erfreu´n,
Das ist des Weisen Lehre.
Der Thor sucht eitle Schätze nur,
Folgt unablässig ihrer Spur,
Und geizt nach falscher Ehre.
Verpönt ist nun die alte Form,
Und eingeführt die neue Norm,
Es regt sich schier gewaltig.
Wer seine Zeit noch nicht erkannt,
Dem bringt sie einen harten Stand,
Der fühlt ihr Weh´ nachhaltig.
Drum schicke dich denn in die Zeit,
Sei auch zu Opfern gern bereit,
Und laß den Mammon fahren.
Er nützt Dir nicht zum ew´gen Heil;
nur dem Gerechten wird´s zu Theil
Der´s eifrig hier muß wahren.
Erfülle den Beruf als Christ,
Vermeide Ehrgeiz, Trug und List
Und geh’ auf graden Wegen.
Sei wach , behutsam überall,
Die Sicherheit kommt vor dem Fall,
Und droht mit Schicksalsschlägen.
Mag denn der Weltsturm brausen fort,
Dir bleibt zuletzt ein sich´rer Ort,
Wo Du wirst Ruhe finden.
Vertrau´ dem Höchsten Dein Geschick,
Wie Er es lenkt, so ist´s Dein Glück,
Wird Gram und Kummer schwinden. -
S.B.
Das Gedicht, das ein uns unbekannter Autor im Januar 1850 für die Quedlinburger Wochenzeitung „Der Volksbote“ verfasst hat, gibt einen Einblick in den Zeitgeist zur Mitte des 19. Jahrhunderts – eine bewegte Zeit: Die politischen Unruhen des März 1848 liegen erst kurz zurück, man muss sich den neuen Verhältnissen und der industriellen Revolution fügen und es gibt viel Neues in Quedlinburg. 1850 erfolgt die Gründung der Firma Gebrüder Dippe, die sich zur größten Firma in Quedlinburg entwickeln wird, und es beginnt die Neubebauung des Johannesstifts. Dass im gleichen Jahr eine Cholera Epidemie 431 Todesopfer fordern wird, wusste der Autor noch nicht, als er seine ermutigenden Reime verfasste: Gottvertrauen, Menschlichkeit, Bescheidenheit und Mut halfen damals über schwere Zeiten hinweg.
Holzschnitt zur Weihnachtsfeier der Klasse 1c, Johannes Spitzmann, 13,3x21,8 cm, 1920, Inventarnummer V/2968/K2; Foto: © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, D. Klinger.
Kein Glitzer, kein bling bling – und doch scheint das Bild Funken zu sprühen wie an Silvester. Hell leuchtet der Weihnachtsstern an der Krippe und über dem Stall, wo er den drei Weisen aus dem Morgenland den Weg weist. Der Quedlinburger Maler und Zeichenlehrer Johannes Spitzmann (1884-1961) hat dieses Erinnerungsblatt zur Weihnachtsfeier der Klasse 1c der Mummentalschule am 15.12.1920 als Holzschnitt angefertigt. Die Schule bestand von 1869 bis 1990, erst als Knaben- und Mädchenschule des altstädtischen Heiliggeisthospitals, 1989 kurz als Institut für Lehrerbildung und später als Mummental-Grundschule (bis 1990), danach wurde das Gebäude als Volkshochschule, Kreisbibliothek und Sozialamt weiter genutzt. 2004 wurde die Schule wegen statischer Baumängel geschlossen. 2021 wurde das Gebäude saniert und zum Wohnhaus ausgebaut.
Spitzmann war an der Mummental Grundschule als Volksschullehrer tätig. Später wirkte er als Zeichenlehrer am GutsMuths Gymnasium sowie als kunstwissenschaftlicher Berater der Stadt. Er war in dieser Funktion um 1928 führend an der Einrichtung des Quedlinburger Stiftsschlosses zum Heimatmuseum beteiligt.
Die Städtischen Museen besitzen ca. 720 Gemälde und Grafiken von Spitzmann. Der Holzschnitt kam durch Kauf aus dem Spitzmann-Nachlass in die Sammlung der Städtischen Museen der Welterbestadt.
Porträt Anna Amalia, Prinzessin von Preußen, Äbtissin von 1756-1787. Öl auf Leinwand, 76x63cm, Künstler und Herstellungsjahr unbekannt, Inventarnummer V/3461/K1. Foto: © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Wolfgang Fischer.
Für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts hat der 9. November als „deutscher Schicksalstag“ große Bedeutung: das Ende der Monarchie in Deutschland 1918, die Pogrome gegen jüdische Deutsche und ihre Einrichtungen 1938 sowie der Fall der innerdeutschen Grenze 1989.
Doch bereits der 9. November 1723 sollte sich zumindest für Stift und Stadt Quedlinburg als schicksalhaft erweisen: Es ist der Geburtstag Anna Amalias, der Schwester Friedrichs des Großen. 1756 als 38. in ihr Amt eingeführt, war sie nach 661 Jahren wieder eine königliche Prinzessin, die in Quedlinburg als Äbtissin regierte. Keineswegs zog damit aber wieder königlicher Glanz in Quedlinburg ein. Schon bei ihrer Ankunft lehnte Anna Amalia die Tradition ab, als gewählte Äbtissin von den Bürgern der Stadt an den Grenzen des Stiftes empfangen, durch das Oeringer Tor in die Stadt und weiter auf den Stiftsberg geleitet zu werden. Nur zwölf Tage nach ihrer Ankunft verließ sie ihr Stift bereits wieder, kehrte erst neun Jahre später für neun Tage und nochmals 20 Jahre danach für 17 Tage in ihr Stift zurück – zusammen 38 Tage in einer Regierungszeit von etwa 31 Jahren. Statt mit ihrer königlichen Abstammung glänzte sie hier mit ihrer Abwesenheit. Die Regierung erfolgte von Berlin und Magdeburg aus, während das bei ihrer Vorgängerin noch belebte Schloss verödete. Der Stern des Stiftes sank weiter. Aus der Ferne machte sie sich besonders um das Kirchen- und Schulwesen in Quedlinburg verdient. Folgerichtig zeigt unser Objekt des Monats – eines der schönsten Gemälde der Städtischen Sammlungen – Anna Amalia als preußische Prinzessin mit rotem Mantel samt applizierten preußischen Kronen und Hermelinkragen. Das Quedlinburger Stiftswappen fehlt. Vermutlich entstand das Gemälde noch vor ihrer Amtseinführung in Quedlinburg, bei der sie im 33. Lebensjahr stand.
Ihre Quedlinburger Untertanen hätten sich gewiss gefreut, wenn Anna Amalias königlicher Stern längere Zeit über dem altehrwürdigen Stiftshaus zu Quedlinburg statt über Berlin gestrahlt hätte.
Lutherbildrelief aus dem Jahre 1553, restauriert 1684, Holz und Pappmaschee bemalt, 46x45, Mittelbild Ø = 38 cm, Inventarnummer V/1470/K2 © Städtische Museen, Foto: Christian Müller M.A.
Zum Reformationsjubiläum vor sechs Jahren war Martin Luther überall. Wohl jeder hat damals Cranachs bekanntes Lutherbild als Scherenschnitt-Logo oder Foto gesehen. Unser Objekt des Monats erinnert 470 Jahre nach seiner Anfertigung an die auch für Quedlinburg so prägende Rolle des Reformators.
Der Hallenser Goldschmied Jobst Camerer schenkte das Rundbild 1553 dem Quedlinburger Rat – so verraten es die Ratsakten im Stadtarchiv der Welterbestadt. Er erhielt vier Taler als Anerkennung. Bis zum Sieg der Reformation in Halle 1541 hatte Camerer von den Aufträgen Kardinal Albrechts gelebt. Als Albrecht seine Residenz nach Mainz verlegen musste, suchte sich der wohl in Geldnöten steckende Camerer eine neue Einnahmequelle: Er sandte Bildnisse von Luther, Kaiser Karl V. oder Kurfürst Moritz als Geschenke nach Nürnberg, Köln und Quedlinburg. Dabei erhoffte er sich ein Gegengeschenk und besser noch einen Auftrag. Dem Quedlinburger Rat schickte er 1550 ein erstes Lutherbild und drei Jahre später ein zweites – unser Objekt des Monats.
Das runde Bild ist aus geprägtem Pappmaschee gefertigt und zeigt stark hervortretend Luther im Alter mit pelzbesetztem Mantel. Zu seiner Linken ist das Herstellungsjahr 1553 vermerkt und weiter „Martinus Lutter, H: Schrifft D:“. Eine bereits 1684 erfolgte Restaurierung ist darunter dokumentiert. Auf dem umlaufenden, ebenfalls geprägten Schriftband lesen wir: „PESTIS ERAM VIVUS, MORIENS ERO MORS TUA PAPA.“ (Lebend war ich dir eine Pest, sterbend werde ich dein Tod sein, Papst). Dieser Grabesruf Luthers an den Papst findet sich schon auf dem fünf Jahre älteren Grabdeckel Luthers, der in Jena zu besichtigen ist.
Einen großen Folgeauftrag erhielt Camerer unseres Wissens nach nicht vom Quedlinburger Rat. Aber sein Pappmaschee-Bild hat die Zeiten überdauert und erinnert uns heute an den nahenden Reformationstag.
Die Sieger des Motocross-Rennens des Jahres 1950, Fotografie von Heinz Kittel, 28,8x18,7 cm, © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Sammlung Heinz Kittel.
Vielen Quedlinburgern dürfte er noch bekannt sein: Der Schriftzug „Foto Kittel“. Auf unzähligen Fotografien von Einschulungen, Hochzeiten und Passfotos sowie auf Postkarten findet sich der Stempel des bekannten Quedlinburger Foto Ateliers in der Heiligegeiststraße. Unser Objekt des Monats ist ein Foto vom Motocross-Rennen am Eselstall. Das Foto ist nur eines aus der umfangreichen Arbeit von Heinz Kittel, der im Jahr 2006 seiner Heimatstadt ein großes Geschenk machte, indem er sein mehrere tausend Fotos umfassendes Privatarchiv in die Hände der Welterbestadt gab.
Heinz Kittel wurde am 29.10.1916 in Quedlinburg in einer Familie von Fotografenmeistern geboren. Am 1.7.1945 übernahm er das Geschäft seines Vaters Max und führte es von 1948 bis 1961 gemeinsam mit seinem Bruder Joachim, bevor es 1962 in eine staatliche Beteiligung überführt und 1972 in einen Volkseigenen Betrieb gewandelt wurde. Bis 1981 war er hier als Betriebsleiter tätig, als wäre es sein privates Geschäft. Mit seinem umfangreichen Werk wurde Heinz Kittel zum Chronisten eines Jahrhunderts seiner Heimatstadt.
Heinz Kittel hat von Jugend an die Veränderungen in Quedlinburg und Umgebung dokumentiert. Dazu gehörten die Architekturfotografie, das Tagesgeschehen, das Theater, die wunderbaren Landschaften des Harzes und besondere Ereignisse, wie seine Aufnahme des Motorradrennens am Eselstall 1950. Das erfüllte Leben von Heinz Kittel endete am 5.9.2014.
„Motocross am Eselstall“ - diese Ankündigung ließ einst die Herzen höherschlagen und die Zuschauer in Massen zu der Strecke im Wald bei Westerhausen kommen.
Die alte Rennbahn am Eselstatt wurde schon im Jahr 1872 von den Kürassieren des Seydlitz-Regiments, dessen 3. Eskadron in Quedlinburg als Garnison beheimatet war, als Pferderennbahn errichtet. Die Stadt Quedlinburg erwarb bereits 1913 das Gelände. Ab dem Jahr 1932 war die Pferderennbahn immer weniger für Rennen mit Vollblutpferden geeignet, sodass die Pferderennsportveranstaltungen nur noch mit Halbblütern stattfanden, was die Anzahl der Turniere reduzierte. Dafür wurde die Bahn zunehmend seit den 1950er Jahren für Motorrennen genutzt.
Der durch den Zweiten Weltkrieg völlig zum Erliegen gekommene Rennsport wurde ab 1949 durch den Kranz-Renn-Verein aus Westerhausen mit dem „Kranzrennen“ – einem Pferderennen – wiederbelebt, das bis 1969 jährlich stattfand. Nach 1962 fanden ebenfalls jährlich größere Motorradrennen statt. Die verantwortlichen politischen Stellen sprachen nach Streitigkeiten mit dem Allgemeinen Deutschen Motorsport-Verband das Gelände vollständig dem Motorsport zu.
Die immer häufiger stattfindenden Moto-Cross-Rennen nahmen regelrechten Volksfestcharakter an und das mit kontinuierlich wachsenden Besucherzahlen. Im letzten Jahr des DDR-Motorsports nahmen sogar 24.000 Begeisterte am Start und an der Strecke an dem Renngeschehen teil.
Im Jahr 1990 wurde das Gelände dann zum Naturschutzgebiet erklärt und die Ära des aktiven Rennsports am Eselstall endete zunächst. Nach jahrelangen Bemühungen erhielt im Jahr 2011 die Rennbahn am Eselstall ihren Eintrag in das Denkmalverzeichnis. Mit den „Seydlitztagen“ wird jährlich an die lange Tradition des Rennsports an diesem Ort erinnert und Trainingstage in traditioneller Art und Weise abgehalten. Der Motorsport erhielt eine neue Heimat mit der neuen Motocross Strecke „Auf der Rosshöhe“ an der Landstraße L 240 in Richtung Thale bei Westerhausen. Dort finden bis heute jährlich Motocross Rennen statt und die Strecke ist mittlerweile dermaßen etabliert, dass hier 2023 erstmalig sogar die Deutschen Motocross Meisterschaften ausgetragen werden.
Der Motorsportclub Westerhausen feiert dieses Jahr zudem sein 60-jähriges Jubiläum. Die Veranstaltungen des MC Westerhausen ziehen bis heute zahlreiche Menschen in ihren Bann – und sicherlich auch den einen oder anderen Fotografen, der die sportlichen Ereignisse für die Nachwelt festhält.
Reisepass für Carl Ritter, ausgestellt am 06./07.08.1807, Stadtkanzlei Frankfurt am Main; B 21cm, H 35cm, Inventarnummer V/16909/S. Foto: © Städtische Museen Quedlinburg, D. Klinger.
Der am 7. August 1779 in Quedlinburg geborene Carl Ritter war von 1798 bis 1813 Hauslehrer in Frankfurt am Main bei der Bankiersfamilie Bethmann-Hollweg, die ihm sein Studium der Verwaltungslehre finanziert hatte. Er war verantwortlich für die Erziehung und Bildung der beiden Söhne August Moritz sowie Philipp und ab 1802 außerdem für Wilhelm Sömmering. Ritter unternahm mit seinen Schülern ausgedehnte Studienreisen durch Deutschland, die Schweiz, Italien und Frankreich. So einfach wie heute war das Reisen Anfang des 19. Jahrhunderts jedoch nicht. Napoleon überzog ganz Europa mit Kriegen, Staaten lösten sich auf und neue Bündnisse wurden eingegangen. Ritters Wohnsitz in Frankfurt gehörte damals zum Staat des Fürstprimas, einem selbständigen Staat innerhalb des Rheinbundes, einer Konföderation deutscher Staaten, die 1806 gegründet wurde und unter französischer Verwaltung stand. Der in Französisch ausgestellte Pass verdeutlicht diese Situation und außerdem lässt er ahnen, welche Hürden Reisende damals auf sich nahmen:
„Wir, Bürgermeister und Senat der Stadt Frankfurt am Main, bitten alle Beamten, ebenso Zivil- wie Militärbehörden, sowie andere Personen, auf die das zutrifft, frei passieren und wiederkehren zu lassen Carl Ritter, geb. zu Quedlinburg – Ausbilder bei Frau Bethmann Hollweg, Bürgerin von Frankfurt, 28 Jahre alt, Wuchs 5 Fuß 7 Zoll Haare …. Augenbrauen tief braun, Augen – braun, Nase: mittel, Mund: mittel, Kinn: rund, Stirn: mittelmäßig, Gesicht: oval. Er geht von Stuttgart nach der Schweiz, nach Italien und Frankreich mit seinem Zögling Hans-Philipp Bethmann Hollweg, Sohn der Bürgerin geb. in Frankfurt. Ohne ihnen etwas anzuhaben, noch zu erlauben, dass man ihnen irgendwie Hindernisse in den Weg legt, sondern im Gegenteil, dass man ihnen jede Hilfe und jeden Beistand gewährt, deren sie bedürfen, was wir versprechen zu beachten in Wechselbeziehung, vorkommenden Falles. Aus diesem Grunde haben wir den gegenwärtigen Pass mit dem Siegel unserer Stadt versehen. Gefertigt und ausgehändigt im Rathaus zu Frankfurt am Main am 6. August 1807. Unterschrift von C. Ritter (verdeckt von großem Siegel), Stadtkanzelei. Unterschrift Roth, Sekretär. Handschriftlicher Vermerk: Gesehen vom Verantwortlichen für Angelegenheiten Frankreichs, gut für Reisen nach der Schweiz und Frankreich. Frankfurt, den 7. August 1807, gez. Bache( )r.“
Stuttgart liegt nur gut 200 Kilometer von Frankfurt entfernt und ist heute innerhalb von zwei Stunden erreichbar. Damals war es eine Reise in die Hauptstadt eines anderen Königreiches, für das man einen Pass benötigte. Carl Ritters Reisepass ist ein typisches Beispiel für französische Reisedokumente. Seit der französischen Revolution wurden in den Pässen der Reisenden genaue Angaben zu Namen, Geschlecht, Alter und eine Personenbeschreibung erfasst. Die französische Verwaltung fand auch in Quedlinburg Anwendung, da es bis 1813 zum Königreich Westphalen gehörte. Heute könnten Sie von der spanischen Kanareninsel La Restinga über 7000 km bis in das norwegische TromsØ reisen und würden dafür keinen Pass benötigen – dank des Schengen Abkommens genügt der Personalausweis. In diesem Sinne wünscht euch das Team der Städtischen Museen einen guten Start in den Sommer und die Reisesaison!
Faltfächer, Papier, Horn, B 51 cm, H 28,3 cm. Foto: © Städtische Museen Quedlinburg, Doreen Klinger.
Diesen Monat stellen wir das perfekte Accessoire für heiße Sommertage vor: den Fächer. Die Geschichte der Handfächer reicht bis in die Antike zurück. Es gibt Aufzeichnungen über ihren Gebrauch in verschiedenen Kulturen, darunter im alten Ägypten, in China, Japan, Indien und Griechenland.
Während des Mittelalters gerieten Handfächer in Europa etwas in Vergessenheit, erlebten aber während der Renaissance und des Barock eine Wiederbelebung. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden sie zu einem festen modischen Accessoire in Europa.
Handfächer wurden aus kostbaren Materialien wie Elfenbein, Seide, Spitze und Edelsteinen hergestellt und oft mit kunstvollen Malereien oder Stickereien verziert. Insbesondere in Frankreich erreichte die Fächerkunst in der Zeit des Barock einen Höhepunkt. Fächer wurden zu einem Symbol für Eleganz und Raffinesse und waren zudem ein Instrument der diplomatischen und der flirtenden Kommunikation, denn mit dem Fächer konnten auf subtile Art Gefühlsregungen wie Zustimmung oder Ablehnung verdeutlicht werden, ohne sie direkt aussprechen zu müssen. Viele Gründe also, dass die empfindlichen Gegenstände damals bei Mitgliedern der High Society schnell an Beliebtheit gewannen: Sie linderten die Hitze, sorgten für frische Luft und erweiterten gleichzeitig die Kommunikationsmöglichkeit.
Die Städtischen Museen haben eine kleine Sammlung historischer Fächer, von denen einige früher im Schlossmuseum ausgestellt waren. Das im Bild gezeigte Modell ist ein Fächer aus dem 19. Jahrhundert. Das Fächerblatt ist aus Papier hergestellt und zeigt auf der Vorderseite eine sommerlich-ländliche Szene mit einem Mädchen vor einem einfachen Haus. Von hinten nähert sich ein Jüngling, der mit seiner Geige zum Spielen ansetzt. Beide haben deutlich gerötete Wangen – ob er wohl um sie wirbt? Gerahmt wird die Szene von begrünten Ästen und unzähligen Blüten in Rosa, Blau und Gold. Das Fächerblatt ist auf Stäben aus Horn befestigt, die kunstvoll durchbrochen geschnitzt und mit Ranken in Blau und Rosa verziert sind. Die Deckstäbe sind aufwändiger und passend zum Fächerblatt verziert mit Blüten und Ranken in Blau und Rosa sowie in Gold gravierten Insekten und feinen Linien und Pünktchen. Die Rückseite des Fächers zeigt eine reduzierte Form der ländlichen Szene auf cremefarbenem Grund, die das Dekor des Deckstabes noch besser zur Geltung bringt.
Engelskonsole vom Haus Hoken 5, L 36 x B 33 x H 25cm, Kiefer, Andreas Schröder, Quedlinburg 1660.Foto: © Städtische Museen, Doreen Klinger
Quedlinburg ist ein herausragendes Denkmal der Stadtbaugeschichte und insbesondere für seine Fachwerkbauten bekannt. Sie stehen heute unter Denkmalschutz und werden saniert, restauriert und erhalten, wenn irgend möglich. Doch in der Vergangenheit wurden auch Häuser abgerissen, um städtebauliche Veränderungen vorzunehmen, z. B. um Straßen zu verbreitern oder Platz für neue Gebäude zu schaffen. Von einigen dieser Häuser wurden konstruktive Elemente gerettet und den Städtischen Museen übergeben, die sie bewahren, um sie nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen. Da es sich um eine kleine Anzahl von Objekten handelt, sind sie sogar alle im Fachwerkmuseum im Ständerbau ausgestellt. Eines davon haben wir als Objekt dieses Monats ausgewählt, denn es ist ein meisterhaftes Beispiel für die Handwerkskunst der Zimmerer des 17. Jahrhunderts: Eine Eckkonsole mit Engelsflüchte. Ernst blickt der gelockte Engel mit seinen breiten, fein geschnitzten Flügeln auf den Betrachter herab. Nicht gerade wie ein lieblicher Engel – eher wie ein böser Bote. Die Engelskonsole stammt vom Haus Hoken Nr. 5, das 1660 vom Zimmermann Andreas Schröder für den Kämmerer Wilhelm Tacke und seine Frau Margaretha Graßhoff errichtet wurde. Die Jahreszahl 1660 ist an den unteren Ecken, links und rechts von den Engelsschwingen eingeschnitzt. Um 1975 wurde das Haus abgerissen, doch die kunstvoll geschnitzte Engelskonsole wurde gerettet.
Als Konsolen bezeichnet man im Bauwesen aus der Wand herausragende hölzerne oder steinerne Vorsprünge, die verwendet werden um Balken und andere Elemente, z. B. Balkone, innerhalb einer Gebäudestruktur zu stützen. Neben ihrer tragenden Funktion im Fachwerkverbund dienen sie auch als Gestaltungselemente: Häufig sind sie kunstvoll mit geschnitzten Figuren geschmückt, die religiöse oder weltliche Motive darstellen und symbolische Funktionen erfüllen. In Quedlinburg findet man Figuren im barockzeitlichen Fachwerkbau des 17. Jahrhunderts. Zu jener Zeit verschwanden die zeichenhaften Schnitzereien, z. B. Pentagramme und Sonnenräder, langsam, die bis dahin über 100 Jahre lang typisch für den niedersächsischen Fachwerkstil waren. An deren Stelle traten gelegentlich figürliche Gestaltungen in Form von Engeln als Boten Gottes oder in Form von Bläh- oder Neidköpfen als Masken des Bösen, die ihresgleichen fernhalten sollten. Die Figuren wurden dafür auf Eckkonsolen, seltener auf Balkenköpfen, angebracht. Göttlicher Schutz war für die Bauherren des Hoken 5 gewiss angebracht: Als Kämmerer hatte Wilhelm Tacke womöglich viele Zeitgenossen, die ihn um seinen Wohlstand beneideten.
Heute sind figürliche Schnitzereien nur noch an wenigen Fachwerkhäusern in Quedlinburg zu finden. Das Fachwerkmuseum stellt die erhaltenen Schnitzwerke ebenso wie Modelle abgerissener Quedlinburger Fachwerkhäuser aus. Es ist von April bis Oktober täglich (außer donnerstags) von 10-17 Uhr geöffnet. Kommen Sie uns besuchen und erfahren Sie mehr über die Entwicklung Quedlinburgs, seine Bebauung in der Vergangenheit und die Rolle von Engeln und Neidköpfen an unseren Häusern.
Haarbild, H 101,1 cm, B 77,1 cm, T 8,5 cm. Echthaar, Perlen, Wolle auf Leinwand, Holzrahmen mit Spiegelfolie und Glasabdeckung, Quedlinburg 1914. Foto: © Städtische Museen, D. Klinger.
Am 30.04. ist der „Tag der Frisur“ – ein willkommener Anlass, diesen Monat ein Objekt vorzustellen, das von der Kunstfertigkeit derer berichtet, die sich um die Schönheit unserer Haare kümmern.
Bei unserem Objekt handelt es sich aber nicht um den aktuellen Schnitt sondern um ein Bild, das kunstvoll aus menschlichem Haar gefertigt worden ist - um ein Haarbild. Die Sammlung der Welterbestadt Quedlinburg bewahrt mehrere Haarbilder, die zu verschiedenen Anlässen angefertigt wurden: Zur Erinnerung an geliebte oder verstorbene Familienmitglieder, als besonderer Wandschmuck wohlhabender Familien oder zu einem Jubiläum, wie das aktuelle Objekt des Monats.
Es ist ein sehr großes, aufwändig gefertigtes Haarbild „Zur Erinnerung an das 25-jährige Fachschul Jubiläum der Barbier-, Friseur- und Perrückenm(acher) Zw(angs) Innung zu Quedlinburg“, das die Friseurinnung im Jahre 1914 beging. Um diese zentrale Widmung gruppieren sich zahlreiche haarige Elemente: Blumen aus violett, blau, rot, weiß und gold gefärbten Haaren, Weinranken aus goldenem Haar mit silbernen Perlen, kunstvoll gearbeitete Miniaturfrisuren, ein dreifarbiger Zopf und ein grauer Vollbart. Die obere Mitte des Bildes ziert ein geschminktes Haupt, das eine kunstvoll gestaltete Unterziehhaube trägt, wie man sie unter Perücken benötigt. Umrahmt wird die mittige Darstellung von gestickten Handwerkszeugen der Friseure und Barbiere. Unter der Widmung ist das Quedlinburger Stadtwappen gestickt aus verschiedenfarbigen Haaren und gold glitzernden Perlen in den Fenstern der Schlosstürme und im Stadttor. Eingerahmt wird das Ensemble der Haarkunststücke von einem perlweiß und silber geknüpften Band und weiteren Blumen aus Haaren und Perlen. Ein besonderer Clou ist der Bilderrahmen: Spiegel an allen vier Innenseiten lassen das Bild dreidimensional erscheinen, wenn man es seitlich betrachtet.
Haare dienten bereits in der Antike als Memorialobjekte, wurden jedoch über die Jahrhunderte meist lose gelassen oder in Miniaturen aufbewahrt. Erst im 18. Jahrhundert entwickelte das Kunsthandwerk spezielle Verarbeitungsverfahren, die das lose Haar zu festen Schmuckobjekten formen. Memorialschmuck wurde insbesondere von Perückenmachern angefertigt, viele Objekte entstanden jedoch auch in häuslicher Handarbeit von Frauen. Die wichtigsten Produzentinnen des Werkstoffs „Echthaar“ waren sie allemal, denn zu jener Zeit waren für Männer Kurzhaarfrisuren in Mode. Somit kamen sie nicht als Haarproduzenten in Frage, da die Flechtstücke eine bestimmte Haarlänge voraussetzten. Mitte des 19. Jahrhunderts waren Haarschmuck, Haarbilder und dreidimensionale Haarobjekte mit Motiven von Landschaften und Pflanzen sowie Ornamenten als eigene Kunstgattung anerkannt. Die handwerklichen Fertigungspraktiken von Haararbeiten lassen sich in den Gesellenprüfungsordnungen der Friseurs-Zunft noch bis in das 20. Jahrhundert hinein verfolgen.
Auch wenn Haarbilder und Haarschmuck aktuell aus der Mode gekommen sind – den kunstfertigen Umgang mit Haaren beherrschen die Friseure nicht nur in Quedlinburg auch heute noch.
Kette, 10. Jh., Karneol, Gold, Glas, Länge ca. 42,5 cm. Foto: ©Städtische Museen, Christian Müller.
In diesem Monat ist unser Objekt ein ganz besonderes Schmuckstück mit vielen Rätseln. Es handelt sich um eine 42,5 Zentimeter lange Halskette aus 36 Karneolen, 10 Glasperlen und 5 Goldperlen. Die etwa fünf Millimeter kleinen Karneole sind fein in Form von Edelsteinen geschliffen und die runden Goldperlen sind filigran mit Schlangen verziert. Ob die Perlen ursprünglich so aufgefädelt waren, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen. Die Glasperlen sind korrodiert und nicht mehr als solche zu erkennen. Sie wirken wie beige-grüne Steine.
Die Karneolkette wurde bei Grabungen an der Nordostseite des Stiftsberges, außerhalb der Stiftskirche im Bereich eines älteren Friedhofes gefunden, dort, wo sich heute der Schlosshof befindet. Das wertvolle Schmuckstück lag in einem Frauengrab des 10. Jahrhunderts. Starben Stiftsdamen in Quedlinburg, wurden sie auf dem Stiftsberg bestattet. Die Äbtissinnen erhielten ihre Grabstätten direkt in der Stiftskirche, im Kirchenschiff, der Krypta bzw. in der Fürstinnengruft.
Die Kette zeigt, dass ihre Trägerin aus einem adeligen, sehr wohlhabenden Hause stammte. In welchem Alter sie verstarb und ob sie zu einer der Stiftsdamen gehörte oder nur ein Gast des noch jungen aber bereits sehr bedeutenden freiweltlichen reichsunmittelbaren Damenstiftes war, ist nicht bekannt.
Im 10. und 11. Jahrhundert war Quedlinburg die Lieblingspfalz der ottonischen Herrscher, die am Grabe ihres Familiengründers König Heinrich I. auf dem Stiftsberg das wichtigste Fest der Christenheit (Ostern) und Hochzeiten feierten. Stets wurde der Herrscher auf seinen Reisen von einem großen Hofstaat nach Quedlinburg begleitet oder er empfing hohe Gäste - wie im Jahre 973 gar Gesandte aus ganz Europa zu einem der glanzvollsten Hoftage des Mittelalters.
Wenngleich der Karneol kein seltener Stein ist und in vielen natürlichen Vorkommen auch in Deutschland zu finden ist, handelt es sich bei der Kette auch durch die Verwendung der goldenen Perlen um ein sehr kostbares Schmuckstück. Schon im Altertum wurde Karneol als Schmuckstein hochgeschätzt und fand sich insbesondere auf Ringen. Die alten Ägypter betrachteten den Karneol wegen seiner roten Farbe, die an Blut erinnert, als „Lebensstein“. Die schönen, rötlichen Steine wurden im Mittelalter zudem als wichtige Heilsteine genutzt. Blutungen, Kopfschmerz, Husten und Erkältungskrankheiten sollte der Karneol lindern oder den Zorn besänftigen, wie es Hildegard von Bingen schreibt. Zeitweise wurde er auch in Amuletten getragen, die gegen Verzauberung schützen sollten. In der Gegenwart verwenden ihn Patienten gegen Arthritis, Neuralgien, Rheuma, Fieber und Infektionen.
Ob die Trägerin diese kostbare Kette trug, um von einer Krankheit geheilt oder vor etwas beschützt zu werden oder aber ob sie sie mit ins Grab bekam, weil das Schmuckstück ihren hohen Rang belegen sollte, bleibt das Geheimnis ihrer Trägerin. Die Kette wird einen besonderen Platz in der neuen Ausstellung auf dem Stiftsberg erhalten und den Besuchern von ihrer einstigen Trägerin aus einer glanzvollen vergangenen Zeit berichten.
Titelblatt des CODEX DIPLOMATICUS QUEDLINBURGENSIS Praeter Vitam B. Mathildis FRANC. OR. REG.Selecta Veterum Autographorum, Curante, Antonio Uldarico ab ERATH, 1764. © Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt Quedlinburg.
Das Objekt dieses Monats ist ein wissenschaftliches Standardwerk, das die große Vergangenheit des Damenstifts Quedlinburg und die editorische Leidenschaft des 18. Jahrhunderts dokumentiert. Wissenschaftler und Geschichtsinteressierte, die sich mit Quedlinburg befassen, kennen dieses Werk gemeinhin als den „Erath“.
Bei dem mit fast 2 Kilogramm Gewicht und einem Seitenmaß von 24 x 36,5 cm beeindruckend korpulenten Werk handelt es sich um ein Urkundenbuch, also eine gedruckte Sammlung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Urkunden. Heute hat dieses Urkundenbuch nur noch rein historische Bedeutung, doch zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung waren die edierten Urkunden immer noch von rechtlicher Gültigkeit. Deswegen fand das Werk weite Verbreitung über Quedlinburg hinaus, war damals auch in Kanzleien anderer Landesherren zu finden und steht heute in vielen internationalen Bibliotheken. Der Erath dient seit seiner Veröffentlichung 1764 Generationen von Wissenschaftlern als eine der wichtigsten Quellensammlungen zur Geschichte des Quedlinburger Reichsstiftes.
Namensgebend für das Werk ist sein Bearbeiter Anton Ulrich von Erath. Von Erath gehörte zu den führenden wissenschaftlichen Editoren seiner Zeit. 1709 in Braunschweig geboren, studierte von Erath an der Universität Helmstedt Rechtswissenschaften. Bereits während seines Studiums begann er sich für die Geschichtswissenschaften zu interessieren. Erste berufliche Erfahrungen sammelte er in Quedlinburg, wo er ab 1736 als Stiftsarchivar tätig war. Hier entfachte sich seine Leidenschaft für das mittelalterliche Urkundenwesen. 1742 wechselte er beruflich nach Wolfenbüttel. Ab 1747 diente von Erath als Regierungsrat und Archivar in Dillenburg, wo er 1764 der „Codex diplomaticus Quedlinburgensis“ nach 28 Jahren fertigstellen und anschließend in Frankfurt am Main veröffentlichen konnte.
Das Werk umfasst mehr als 1000 großformatige Seiten mit 16 noch größeren, gefaltet eingebundenen Kupferstichen sowie 22 Tafeln mit Darstellungen von Münzen und Siegeln und ist damit eine herausragende editorische Leistung des 18. Jahrhunderts, die noch heute mit kleinen Einschränkungen wissenschaftlichen Standards genügt. Akribisch trug von Erath wohl bereits in seiner Quedlinburger Amtszeit dafür handschriftlich und zeichnerisch die wichtigsten Urkunden zum Quedlinburger Damenstift zusammen und ergänzte die Sammlung um Texte bekannter mittelalterlicher Geschichtsschreiber über Quedlinburg. Die bedeutendsten 16 Königs- und Papsturkunden sind als Kupferstiche detailgetreu wiedergegeben, mit ihrem Text und einer Darstellung ihrer Siegel und Subskriptionszeichen. Zur leichteren Zugänglichkeit der Inhalte stellte von Erath jeder im Wortlaut abgedruckten Urkunde eine kurze inhaltliche Zusammenfassung, das sogenannte Regest, voran. Typisch für seine Zeit sind diese auf Latein verfasst. Mehrere thematische Indizes am Ende des Buches erleichtern die Recherche nach Personen und Orten.
Der originale Band ist Teil der bedeutenden Historischen Bibliothek Quedlinburg. Aufgrund seines großen historischen Wertes und seines Alters darf das Buch selbst nicht mehr benutzt werden, damit es keinen Schaden nimmt. Damit aber dieses Monument editorischer Leidenschaft mit dem für Quedlinburg und sein Damenstift so bedeutenden Inhalt für jeden Interessierten leicht zugänglich ist, hat das Archiv der Welterbestadt ihn eingescannt. Auf der Website des Stadtarchives kann der große Erath nun als Digitalisat eingesehen werden: Städtisches Archiv / Quedlinburg - Welterbestadt
Kalender, B 160 mm, L 210 mm. Metall, Textilgewebe und Glasperlen, ca. 1830. © Städtische Museen, Christian Müller M.A.
Die Städtischen Museen und das Archiv der Welterbestadt stellen jeden Monat Objekte aus den umfangreichen und vielseitigen Sammlungen der Welterbestadt vor, die manchmal augenscheinlich aber auch verdeckt von der Geschichte und vom Leben in unserer Welterbestadt künden.
Objekte wie dieses, welches den Auftakt für das Jahr 2023 macht, lagen bei Vielen in den vergangenen Tagen sicher auf dem Gabentisch, denn sie sind ein beliebtes Geschenk: Kalender. Fast täglich nutzen wir sie, und es gibt sie in vielen Varianten: Mit großformatigen Bildern zum an die Wand hängen, im Chipkartenformat zum Einstecken, im Smartphone in der Hosentasche, als Heft im Schulranzen und als täglicher Begleiter aller Büroangestellten in Form des Kalender am Bildschirm. All diese Kalender begleiten ihre Nutzer nur über ein Jahr. Der Kalender, den wir Ihnen heute vorstellen wollen, bot auf Ewigkeit Orientierung – wenn man das regelmäßige Einstellen von Wochentagen und Monaten beherrschte.
Unser Kalender ist ein immerwährender Kalender. Er ist ein in mühevoller Handarbeit gefertigtes kleines Schmuckstück aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein vergoldeter Metallrahmen fasst eine Pappunterlage, die als Träger für ein Gewebe dient, auf das goldene, blaue, grüne und braune Glasperlen genäht sind. Mittig befindet sich eine achteckiges, grafisch reich verziertes Kalenderfeld, das mit einem geprägten goldenen Metallband umfasst ist. Das Kalenderfeld beinhaltet bewegliche Bänder, mit denen die Wochentage und die Monate zusammen mit der Jahreszahl eingestellt werden können. Zum Verstellen der Bänder muss man an Laschen auf der Rückseite des Objektes ziehen.
Im oberen Bildfeld des Kalenderfeldes ist die von Victoria gelenkte Quadriga abgebildet, die für den Einzug des Friedens nach Berlin steht. Umrahmt wird sie von den Worten „Der Siegeswagen zu Berlin“. Doch wer das Brandenburger Tor gut kennt und genau hinschaut, entdeckt deutliche Abweichungen: Victoria hat keine Schwingen, die Standarte in ihrer rechten Hand trägt einen Adler ohne Eichenkranz und Kreuz, und die Pferde im Viergespann laufen in andere Richtungen als in der tatsächlichen Bauplastik. Dies deutet darauf hin, dass der Künstler die Zeichnung entweder aus der Erinnerung anfertigte oder nach einer (falschen) Vorlage zeichnete. Im inneren Rahmen des Kalenders sieht man oben ein Landgut, daneben die verstellbaren Monate und Jahre, die leicht eingerissen sind. Unten im Rahmen ist ein Gebinde gezeichnet, bestehend aus einem Hermesstab, einem Füllhorn und einem Stab mit Fruchtgirlanden, die von einer Spange zusammengehalten werden. Symbolisch deuten diese Elemente auf Frieden, Fruchtbarkeit, Glück und Wohlstand. Das waren wahrscheinlich die Sehnsüchte vieler Deutscher im 19. Jahrhundert. Als dieser Kalender vielleicht als Souvenir in Berlin gefertigt wurde, durchlebten alle harte Zeiten. Deutschland hatte die napoleonischen Kriege überstanden, doch es gab große gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche und Unruhen. Die Hungersnöte der 1840er Jahre kulminierten schließlich in der Revolution 1848. Quedlinburg prosperierte jedoch nach der Aufhebung des Damenstiftes im 19. Jahrhundert, ein beachtlicher Wohlstand entwickelte sich mit der Blumen- und Saatgutzucht. So ist gut vorstellbar, dass dieser Kalender die Wand eines wohlhabenden Quedlinburgers schmückte.
Für das Jahr 2023 wünschen wir allen Lesern stets Kalender die - immerwährend oder nur für 356 Tage im Jahr – Frieden, Glück und Wohlstand verzeichnen.
Lichtstock, Breite (Bodenplatte) 10 cm, Höhe 16 cm, Messing, 1. H. 19.Jh. © Städtische Museen, Doreen Klinger
Die Städtischen Museen und das Archiv der Welterbestadt stellen jeden Monat Objekte aus den umfangreichen und vielseitigen Sammlungen der Welterbestadt vor, die manchmal augenscheinlich aber auch verdeckt von der Geschichte und vom Leben in unserer Welterbestadt künden.
Für den Monat Dezember, in dem traditionell viele Lichter angezündet werden, haben wir einen kleinen zauberhaften Leuchter aus den Depoträumen unserer Sammlung ausgewählt.
Mitten in der dunklen Jahreszeit zünden wir gerne eine Kerze oder ein Feuer an, um Wärme und Gemütlichkeit ins Haus zu holen. Zum Erhellen eines Zimmers aber nutzen wir offenes Feuer heute kaum noch. Dafür genügt der Griff zum Lichtschalter. Elektrische Beleuchtung gibt es jedoch erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bis dahin mussten das Feuer eines offenen Herdes, Fackeln, Kienspäne oder Kerzen aus Talg ausreichen. Kerzen aus Wachs und die dazugehörigen Leuchter konnten sich nur wohlhabende Bürger leisten. Räume wirklich zu erhellen, wie wir es heute kennen, war ein seltenes Privileg.
Unser Objekt des Monats ist ein so genannter Lichtstock. Als Lichtstock bezeichnet man Leuchter, Kerzenständer oder auch Fackeln. Der Lichtstock aus der städtischen Sammlung ist ein aufwendig aus Messing hergestellter Leuchter. Er diente zum Halten einer am Stiel entlang aufgerollten Wachsschnur. Fein gravierte orientalisch anmutende Blattornamente schmücken seine zehn Zentimeter breite Bodenplatte, die von drei filigranen Füßen getragen wird. Am Kopfende des Stieles befindet sich eine scherenartige Konstruktion, die durch eine Metallzunge auf Spannung geschlossen gehalten wird. Über dem Gelenk der Schere steht eine männliche Figur. Diese kleine Figur trägt eine Kappe auf dem Kopf sowie ein kurzärmeliges Gewand mit Pumphose. Der Mund ist geöffnet, die Füße schreiten und der ganze Körper scheint sich zur Schneide der Schere hinzuneigen. Was seine Hände einst hielten, lässt sich nicht mehr sagen.
In dem Bereich, auf den die Figur ausgerichtet ist, wurde die Wachsschnur in die kunstvoll ausgearbeitete Schere eingespannt. In unserem Fall hat sich sogar eine originale Wachsschnur mit Gold gefärbtem Wachs erhalten. Die Ornamentik und die feine Ausarbeitung des Leuchters sowie die kostbare Wachsschnur lassen vermuten, dass der Lichtstock aus einem wohlhabenden Haushalt in Quedlinburg stammt und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand.
Lichtstöcke mit Wachsschnüren waren sehr praktische Leuchter. Man konnte mit der Länge des eingespannten Schnurteiles ungefähr die Brenndauer des Leuchters vorgeben. War der obere Teil der Kerzenschnur abgebrannt, schnappte die Schere zu, so dass das Feuer erlosch und nicht nach unten weiterbrennen konnte - eine kluge Erfindung die die Brandgefahr verringerte und den Einsatz der teuren Wachsschnur effektiv steuern ließ. War der Kerzenstrang komplett verbraucht, wurde die obere Schraube, die in Form der Figur gestaltet ist, gelöst. Jetzt konnte die Schere abgenommen und ein neuer Wachsstock aufgesetzt werden.
Mit Blick auf die Ressourcenknappheit in aktueller Zeit wären Leuchter wie unser kleiner Lichtstock mit dem goldenen Wachs eine schöne und zuverlässige Alternative zum elektrischen Licht, damit man nicht auf weihnachtliche Gemütlichkeit verzichten muss.
Federkiel, Länge 16 cm, mit Begleitzettel von 1939. Quedlinburg, Städtische Museen, V/ 4103/H. Foto: Doreen Klinger.
Die Städtischen Museen und das Archiv der Welterbestadt stellen jeden Monat Objekte aus den umfangreichen und vielschichtigen Sammlungen der Welterbestadt vor, die manchmal augenscheinlich manchmal aber auch verdeckt von der Geschichte und vom Leben in unserer Welterbestadt künden. Für den Monat November, in dem traditionell die Gänse zu St. Martin genossen werden, haben wir ein kleines, auf den ersten Blick unscheinbares Objekt ausgesucht: Eine Schreibfeder von 1939 – die letzte Schreibfeder aus dem Quedlinburger Rathaus.
Seit der Spätantike waren Federn das Instrument für das Schreiben mit Tinte. Sie ersetzten größtenteils das Schreibrohr, den calamus, mit dem bis dahin geschrieben wurde. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Ämtern und Schulen mit Gänsefedern geschrieben, bis diese durch industriell gefertigte, metallene Schreibfedern ersetzt wurden. Es ist also ungewöhnlich, dass sich noch ca. 100 Jahre später ein Federkiel als Schreibgerät im Rathaus befand.
Der Federkiel wurde aus einer der äußeren fünf weißen Schwungfedern eines Gänseflügels gefertigt. An ihm sind deutlich Spuren der Zeit zu erkennen. Seine Spitze enthält ausgetrocknete Tinte, sein vergilbter Schaft verjüngt sich zu einem kahlen Halm, der an einigen Stellen Farbflecken und Brüche aufzeigt. Ein kleines, vergilbtes Blatt ist der Feder beigefügt. Auf diesem steht: „Der letzte, auf dem hiesigen Rathause gebrauchte Federkiel (gebraucht von Stadtsekretär Laage) vom Verw. Direktor Re […] gefunden und dem Schlossmuseum übereignet. 13. Januar 1939. G.‘‘ Wie lang die Feder tatsächlich im Gebrauch war, ist nicht sicher zu sagen. August Theodor Günther Laage ist zumindest im Adressbuch der Stadt Quedlinburg 1865 als Magistrats-Sekretär, wohnhaft im Steinweg 948 b, belegt. Dem Hauptsterberegister der Stadt Quedlinburg nach, stirbt er am 24. August 1903 im Alter von 73 Jahren.
Um mit einer Feder schreiben zu können, muss diese präpariert werden. Zuerst kann das untere Ende des Schaftes rasiert werden, damit die Fahne (Faser) nicht beim späteren Schreiben stört. Dann wird die Feder gehärtet. Dies geschieht, indem man das Ende des Schaftes in ein Gefäß mit Sand steckt, der zuvor mindestens auf 200 Grad Celsius erhitzt wurde, den Schaft hin und her dreht und abkühlen lässt. Das Ende färbt sich von weiß-grau zu glasig. Es wird um einen Winkel von 45 Grad zugeschnitten, die ,,Seele‘‘ (ein Häutchen im inneren) entfernt und die Seiten um 5 Grad angesenkt. Von der Spitze werden die Hörner zusammengebogen, bis ein Knack-Ton zu hören ist. Der entstandene Schlitz soll später durch Kapillarwirkung die Tinte zur Spitze leiten. Zuletzt kann der Federkiel abgeflacht oder geschärft werden.
Die über Jahrtausende andauernde Tradition des Schreibens mit der Feder hat sie zu einem Symbol für das gelehrte und literarische Schreiben sowie für die Weisheit gemacht. Unzählige Redewendungen zeugen davon: aus jemandes Feder stammen, sich mit fremden Federn schmücken, die Feder zu führen wissen, zur Feder greifen, die Feder ist mächtiger als das Schwert. Erinnern wir uns daran – beim nächsten Gänsebraten, oder wenn Stimmen nach Waffen rufen, wo Federn und weise Worte angebracht wären.
Dreschflegel, 19. Jh., Holz und Leder, Stiel 159,5 cm lang, Durchmesser 2,5 cm; Flegel 61 cm lang, 6 cm Durchmesser © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Doreen Klinger.
Die Erntezeit ist vorüber, allerorts sah man in den vergangenen Wochen Mähdrescher auf den Feldern, große Staubwolken verkündeten schon von Weitem ihren Einsatz. Doch diese maschinelle Erleichterung der Ernte gibt es noch gar nicht so lange. Erst Ende des 18. Jahrhunderts kamen Dreschmaschinen und ab den 1950’er Jahren Mähdrescher zum Einsatz. Bis dahin nutzten Bauern jahrhundertelang Dreschflegel. Der Dreschflegel ist ein altes bäuerliches Werkzeug. Dreschen bezeichnet den mechanischen Prozess des Herauslösens der Körner von Getreide, Hülsenfrüchten und Ölsaaten aus den Ähren bzw. Hülsen nach der Ernte. Beim Dreschen entsteht ein Gemisch aus Stroh, Spreu und Körnern, aus dem dann zuerst das Stroh abgesiebt und danach die Spreu von den Körnern getrennt wird.
Der Dreschflegel aus der Sammlung der Städtischen Museen stammt aus dem 19. Jahrhundert und entspricht der typischen Bauweise eines solchen Gerätes: Er besteht aus einem hölzernen Stiel, an dem mit einem Lederband der eigentliche Flegel befestigt ist. Dieser ist ein ca. 6 cm dicker, 60 cm langer, grob bearbeiteter Prügel aus Hartholz. Gedroschen wurde auf dem Tenne genannten, befestigten Boden einer Scheune. Mit dem Stiel wurde der gesamte Dreschflegel so durch die Luft geschleudert, dass die vorne angebrachte Keule mit großer Kraft flächig auf die am Boden liegenden Getreidebündel aufschlug. Auf diese Weise wurden die Getreidekörner aus den Ähren herausgeschlagen. In der Regel waren die Scheunen mit einer Tenne so gebaut, dass man sie auf zwei gegenüberliegenden Seiten öffnen konnte, damit der Wind durch die Scheune wehte. In Quedlinburg kann man solche Tennenöffungen noch an vielen ehemaligen Ackerbürgerhöfen erkennen, z. B. im Konvent 27 oder in der Marktstraße 12. Mit dem Dreschflegel schlugen die Bauern in einem abgestimmten Takt auf das Getreide ein, das durch die Schlagkraft in die Luft flog. Die schweren Körner fielen zu Boden und die leichten Anteile, wie Stroh und Spreu, wurden vom Wind über die Tenne hinweggefegt. Im Mittelalter wurde der Dreschflegel von Bauern auch als Waffe verwendet. Im 12. Jahrhundert wurde er sogar weiter entwickelt zum Streit- bzw. Kriegsflegel, bei dem das Lederband durch eine Kette ersetzt und der Flegel mit Spitzen (z. B. Nägeln) versehen wurde. Aus dieser Waffe entstand später der Morgenstern.
Dreschflegel kennt man in Deutschland heute kaum noch, obwohl sie weltweit verbreitet waren. Doch manches dieses jahrhundertealten Werkzeuges hat sich erhalten: Der japanische Dreschflegel, genannt Nunchaku, ist in Asien als Waffe für traditionelle Kampfkünste verbreitet. In Deutschland nutzt man den Dreschflegel nur noch verbal zur Bezeichnung einer rücksichtslosen Person (Flegel) oder als saloppen Begriff für Prügel (Dresche).
Postkarte, 14x9 cm, Quedlinburg, 1931 © Welterbestadt Quedlinburg.
Zahlreiche Fotos und Postkarten in der Sammlung der Städtischen Museen zeugen von Quedlinburgs Vergangenheit als Blumenstadt und dem Bedürfnis der Gäste Quedlinburgs, neben schönen Erlebnissen auch Pflanzen und Samen mit nach Haus zu nehmen. So auch die Postkarte einer unbekannten Absenderin Namens Inge an ihre Berliner Familie, versendet am 25.8.1931. Riesige Flächen bunter Blühstreifen zieren die Aussicht auf die Südseite des Stiftsberges. Ein Blick, den sich viele Quedlinburger wieder so ähnlich wünschen würden.
Südlich des Stiftsberges befinden sich der Brühl und das Kloster St. Wiperti. Das Quedlinburger Damenstift war im Mittelalter eng mit dem Kloster St. Wiperti, der damaligen Königspfalz, verbunden und musste u. a. umfangreiche Versorgungsleistungen für das Stiftspersonal und für Königsaufenthalte mit großem Gefolge und Gesandtschaften erfüllen. Für diese umfangreiche Versorgung wurden jedoch nicht die heute noch vorhandenen Gärten auf dem begrenzten Stiftsbergplateau, sondern die Gärten in der Ebene genutzt.
Das südlich vom Stiftsberg und dem Kloster St. Wiperti gelegene Areal mit dem Brühl war ursprünglich ein sumpfiges, waldiges Gelände, das bereits 1179 dem Kloster St. Wiperti gehörte und im Laufe des Mittelalters durch wirtschaftliche Nutzung (Rodung, Abholzung und Trockenlegung) urbar gemacht worden war. Hier wurde lange Obst und Gemüse angebaut.
Ende des 17. Jahrhunderts genügten den drei ranghöchsten Damen des Stiftskapitels die kleinen Lustgärten auf dem Stiftsberg nicht mehr, und Äbtissin, Pröpstin und Dechantin ließen sich auf den urbar gemachten Flächen repräsentative Gärten in der Ebene nahe des Stiftsberges anlegen. Als Garten der Äbtissin wurde der Abteigarten zum barocken Lustgarten gestaltet und ausgestattet mit einem Gartenhaus, Wasseranlagen, Schmuckpflanzungen, Obstbäumen und Nutzbeeten sowie Wohn- und Wirtschaftsgebäuden für die Gärtner. Vom Stiftsberg wurde zu dieser Zeit ein direkter Zugang zu den Gartenanlagen im Süden angelegt. Doch nicht nur die Verbindung durch Wege, auch die visuelle Verbindung durch Sichtachsen war ein wichtiger Gestaltungsaspekt der Gartenanlagen. Stift und Abteigarten stehen in enger visueller Beziehung durch die Hauptachse des Gartens.
Die Stiftsgärten wurden von gut augebildeten Stiftsgärtnern unterhalten und gepflegt. Mit der Auflösung des Stifts Anfang des 19. Jahrhunderts gingen die Flächen in den Besitz der Gärtner, den ehemaligen Pächtern, über. Daraus entwickelten sich später die Quedlinburger Saatzuchtbetriebe. Den Abteigarten erwarb 1827 Samuel Lorenz Ziemann, später wurde er Besitz der Firma Gebrüder Dippe AG. In den ehemaligen Stiftsgärten wurde auf großen Flächen Blumensamenbau betrieben. Im 20. Jahrhundert waren Ackerbau und Gärtnerei die Haupterwerbszweige für die Quedlinburger, und das Saatgut wurde in alle Länder Europas, nach Russland, Nordamerika und Australien exportiert.
2002 wurden der Brühl und der Abteigarten in das Netzwerk „Gartenträume Sachsen-Anhalt“ aufgenommen und 2006 auch die Wegeachse mit Wasserbecken wiederhergestellt. Im Sinne einer nachhaltigen und ja eigentlich auch ursprünglichen Nutzung wird der Abteigarten durch eine Demeter-Gärtnerei bewirtschaftet, die in den Beeten Gemüse und Blumen anbaut.
Wappenschild der Propsteiloge von Aurora von Königsmarck; Mittelteil geschnitzt aus Linde, äußerer Teil Eiche, nach 1704. © Welterbestadt Quedlinburg, Christian Müller
Vor wenigen Tagen, am 28. April, hätte Maria Aurora Gräfin von Königsmarck, „die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte“ wie Voltaire sie nannte, ihren 360. Geburtstag gefeiert. 1662 wurde sie in Stade in das altmärkische Adelsgeschlecht derer von Königsmarck geboren. Die strahlend schöne Aurora, stets elegant und kostbar gekleidet, gewandt im Auftreten und mit charismatischer Ausstrahlung, war hochgebildet und geistreich. Sie sprach fünf Sprachen fließend, war literarisch und künstlerisch begabt, war eine Virtuosin auf der Laute und auf der Viola da Gamba. Sie muss auf ihre Zeitgenossen eine enorme Wirkung gehabt haben.
August der Starke erhob Aurora als seine „Göttin der Morgenröte" zur ersten offiziellen Mätresse. Mit Geburt ihres gemeinsamen Sohnes, Moritz Graf von Sachsen, war ab 1696 jedoch kein Platz mehr für Aurora am Dresdner Hof. Sie bemühte sich um Aufnahme in das hoch angesehene Quedlinburger Damenstift. Nur mit Unterstützung des sächsischen Kurfürsten gelangte sie in die Position der Koadjutorin, der Stellvertreterin der Äbtissin. Im Mai 1700 wurde sie sogar zur Pröbstin gewählt, ihre Hoffnung aber, das Amt der Äbtissin bekleiden zu können, erfüllte sich aufgrund massiver Widerstände im Stiftskapitel nicht. So stand Aurora von 1704 bis 1718 als einzige regierende Pröpstin in einer langen Reihe von Äbtissinnen dem Quedlinburger Damenstift vor. Die Leiterinnen des Damenstiftes hatten eigene Sitzplätze in der Stiftskirche: die nördliche Herrschaftsloge war für die Äbtissin bestimmt, die südliche für die Pröpstin.
Die Propsteiloge war ebenso wie die herrschaftliche Loge der Äbtissin höher als die übrigen Logen, mit denen die Kirche damals ausgestattet war. Die Loge wurde auch als „Probstey Chörchen“ bezeichnet und wahrscheinlich unter Aurora von Königsmarck letztmalig renoviert. Sie wurde mit einer geschnitzten, gepolsterten Bank, die weiß und golden gefasst war, ausgestattet. Die Loge war am oberen Gesims mit dem Wappenschild geschmückt, dass im Mai unser Objekt des Monats ist. Das Wappenschild ist sehr aufwendig aus Linde und Eiche geschnitzt und in ungefasstem Zustand nahezu schadlos überliefert. Das gräfliche Wappen zeigt mittig um das gezackte Mittelschild im Uhrzeigersinn gruppiert rechts oben einen nach rechts galoppierenden geharnischten Reiter, welcher in der Rechten ein Schwert hält, darunter einen linksgekehrten Löwen, welcher ein Passionskreuz in den Vorderpranken emporhält, links daneben eine schräg durch das Feld gezogene Bogenbrücke mit einem Turm und darüber links einen rechtsgewendeten Löwen, welcher mit den Vorderpranken einen Schlüssel in die Höhe hält. Dieses mittige Wappen ist aufwendig mit Blattranken geschmückt, aus denen sich drei mit gräflichen Kronen gekrönte Helme erheben. Aus dem linken Helm wächst der einen Schlüssel vor sich haltende Löwe des letzten Wappenfeldes empor; aus dem mittleren Helm eine weißgekleidete, mit einer Grafenkrone gekrönte Jungfrau mit fliegendem Haar und einem Rosenzweig mit drei Blüten in der Rechten, und aus dem rechten Helm erwächst ein geharnischter Ritter, dessen offener Helm mit Straußenfedern besetzt ist, und welcher in der Rechten eine wehende Fahne, in der Linken ein Passionskreuz hält. Gerahmt wird das Wappen von floralem Schnitzwerk mit Sonnenblumen, Rosen und kleineren Blüten. Die Inhaberin der Propsteiloge wird namentlich deutlich im Schnitzwerk hervorgehoben: MARIA AURORA GRÆFFIN VON KOENIGSMARCK PROEBSTIN.
Schautaler von 1617. Gold, Durchmesser 5,5 cm, Gewicht Doppeltaler 57,7 g. © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Christian Müller.
Im April 2022 feiert die Welterbestadt Quedlinburg ihre Ersterwähnung vor 1100 Jahren durch König Heinrich I. in einer Urkunde für das Kloster Corvey. Dass wir uns heute nicht nur an das wichtige Datum, sondern auch an den Aussteller der Urkunde erinnern, ist auch ein Verdienst einer jahrhundertelangen Praxis des Erinnerns, der „Memoria“. Die Erinnerung an König Heinrich I. zu erhalten, war eine zentrale Aufgabe des Quedlinburger Damenstiftes. Im Mittelalter beteten die Stiftsdamen für das Seelenheil Heinrichs und der ihm nachfolgenden Mitglieder der ottonischen Kaiserfamilie. In der frühen Neuzeit änderte sich nach der Reformation die Art der Memoria. An die Stelle der liturgischen Memoria trat die Erinnerung und Rezeption Heinrichs I. als Stiftsgründer. Der Schautaler von 1617 ist dafür ein anschauliches Beispiel.
Die Goldmünze wurde 1617 anlässlich des hundertjährigen Reformationsjubiläums von der Quedlinburger Äbtissin Dorothea, Herzogin von Sachsen (1610-1617), in Auftrag gegeben. Die Rückseite bzw. Wertseite der Münze zeigt Heinrich I. als Kaiser im Harnisch, in Krönungsornat mit Schwert und Reichsapfel vor der stilisierten Stadt Quedlinburg stehend. Neben ihm sind seine Geburts- und Sterbedaten „NAT – 876“ und „MOR – 936“ abgebildet. Die Umschrift lautet „HEINR AVG D G RO IM SAX - DVX ABB QVEDLB FVND-AT“. Die Umschrift und die Darstellung des Königs zeigen, wie Heinrich I. zu jener Zeit in Quedlinburg gesehen werden sollte: als von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, König der Sachsen und Gründer des Quedlinburger Stifts.
Der prächtige Schautaler ist kein Einzelstück, es gibt ihn in verschiedenen Ausführungen. Die Münzen wurden im Auftrag der Quedlinburger Äbtissin Dorothea von Sachsen geprägt, die sich mit dem Schautaler gleichsam ein Denkmal setzte. Die Vorderseite des Schautalers zeigt ihr verziertes sächsisches Wappenschild mit der Umschrift „DOROTHE D G ABBATIS - QVEDELB DVCIS SAXO 1617“ – Dorothea, von Gottes Gnaden Äbtissin von Quedlinburg, sächsische Herzogin, 1617. Von dem Schautaler gibt es silberne Exemplare im einfachen (ca. 28g), im doppelten und im dreifachen Talergewicht sowie die oben abgebildete Goldmünze. Schaumünzen entsprachen in Maßen und Gewicht den Umlaufmünzen, wurden aber sehr aufwändig gestaltet und in geringerer Anzahl zu besonderen Anlässen geprägt. Für den Zahlungsverkehr waren sie nicht bestimmt, man benutzte sie als Ehrengaben für hochgestellte Persönlichkeiten und um zu repräsentieren.
Das Münzrecht hat das Quedlinburger Damenstift seit dem Jahr 994. Die Regierungszeit von Dorothea von Sachsen ist ein Höhepunkt in der Münzgeschichte des Quedlinburger Damenstifts. Die Äbtissin richtete 1615 im ehemaligen Augustiner-Kloster eine Münzstätte ein. Der erste Münzmeister war Tobias Elze, der nach seinem Tod 1617 von Heinrich Löhr abgelöst wurde. Auf der Vorderseite der Goldmünze, links neben dem Wappen ist das Münzmeisterzeichen HL deutlich zu erkennen. Nach dem frühen Tod von Dorothea von Sachsen (1617 im Ausgabejahr der Münze) setzte ihre Nachfolgerin die Prägetätigkeit fort.
Traditionsfahne des GutsMuths-Männer-Turnvereins Quedlinburg, 120x146cm, Seide, 1904. ©Welterbestadt Quedlinburg, Doreen Kling
2022, zum 1100-jährigen Stadtjubiläum, möchten wir Ihnen besondere Objekte vorstellen, die von spannenden Ereignissen und beeindruckenden Personen der Stadtgeschichte erzählen.
Turnen hat in Quedlinburg, der Geburtsstadt des bedeutenden Sportpädagogen GutsMuths, eine lange Tradition. Unser Objekt des Monats erzählt daher von der Leidenschaft eines Vereins für das Turnen und der abenteuerlichen Rückkehr der verloren geglaubten Vereinsfahne des GutsMuths-Männer-Turn-Vereins im Jahr 1994.
Der Verein wurde 1860 als Männer-Turn-Verein (MTV) gegründet, in dem geturnt, gefochten und Wettkämpfe ausgetragen wurden. 1896 kamen eine Frauen-Abteilung und später weitere Abteilungen für Jugendliche und zahlreiche weitere Sportarten hinzu. Mit kleinen Unterbrechungen durch Krieg, NS-Zeit und DDR entwickelte sich der Verein zur heutigen Turn- und Sport-Gemeinschaft (TSG) GutsMuths 1860 Quedlinburg e. V. und sorgt mit vielfältigen Angeboten für die körperliche Ertüchtigung der Quedlinburger Bürgerinnen und Bürger.
Im Laufe seines Bestehens hatte der Verein diverse Vereinsfahnen, deren Geschichte hier nicht erzählt werden soll. Eine sticht hervor, die der Traditionsfahne von 1904. 1904 veranstaltete die Stadt eine Festwoche zur Einweihung des GutsMuths-Denkmales. Die Festwoche begann am 15. Mai mit dem 44. Stiftungsfest des GutsMuths-MTV. Zu diesem Anlass wurde die neue Fahne genäht und geweiht, die bis Anfang der 1930er Jahre vor Allem bei Stiftungsfesten zur Schau gestellt wurde. Nach dem erzwungenen Zusammenschluss der bürgerlichen Sportvereine in Quedlinburg zur „Turngemeinde GutsMuths“ wurden alle Vereinsfahnen aus dem Verkehr gezogen. Der damalige Vereinsvorsitzende übergab die Traditionsfahne jedoch einem vertrauten und zuverlässigen Sportler zur Aufbewahrung. Der Verein benutzte dann 30 Jahre lang keine Fahne. Die Traditionsfahne von 1904 tauchte erst bei der Umbenennung des Vereins in „Turngemeinschaft GutsMuths“ am 2. April 1966 bei der Feier im „Kreiskulturhaus X. Jahrestag“ in Quedlinburg als Bühnenschmuck wieder auf. Wie sie dorthin kam, weiß niemand, denn der Sportler, dem damals die Fahne anvertraut worden war, war inzwischen verstorben. Nach der Feier verschwand die Fahne wieder. 1994 tauchte sie dann überraschenderweise in den USA auf. Am 17.02.1994 faxte der Deutsch-Amerikaner Walter-Gerhard Schlemmer aus Brightwaters an die Stadtverwaltung in Quedlinburg, dass auf einer Auktion eine alte Vereinsfahne aus Quedlinburg aufgetaucht sei, die er am 29.02.1994 ersteigern könne. Innerhalb weniger Stunden hatte sich der Vorstand die Unterstützung der Stadtverwaltung und der Kreissparkasse gesichert und der Kauf gelang. Zahlreiche Mitglieder des Vereins spendeten, um die Rückkehr der Fahne mitzufinanzieren. Der Verein hat die Fahne 2010 den Städtischen Museen der Welterbestadt Quedlinburg als Dauerleihgabe gegeben, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Fahne ist aus Seide, hat Goldfransen an drei Seiten und 12 Ringe an der vierten Seite, die zur Befestigung des Fahnenstabes dienen. Die Vorderseite der Fahne ist rubinrot und zeigt mittig das Stadtwappen, das golden umstickt ist mit dem Vereinsnamen. Umrahmt wird das Bild von einer Goldbordüre. Die cremefarbene Rückseite trägt im oberen Drittel den rot gestickten Gruß „Gut Heil“ und in den Ecken die Losung des Vereins „Einig, Mutig, Kräftig, Treu“, umkränzt von Eichenlaub. Im Zentrum steht das Symbol des Deutschen Turnerbundes, darunter die Jahreszahlen 1860-1904 – das Gründungsjahr des Vereines sowie das Weihejahr der Fahne. Die vier F- Buchstaben stehen für „Frisch, Fromm, Froh, Frei“ – eine Devise, die – trotz aktuell pandemiebedingter Widrigkeiten – ihre Wirkung nicht verloren hat. GutsMuths erkannte schon vor über 200 Jahren die gute Wirkung von Bewegung auf den Körper und den Geist. Machen Sie gerne mit – allein oder im traditionsreichen Verein!
Blick zur Bühne nach den Löscharbeiten. Foto zum Polizeibericht, Stadtarchiv Quedlinburg, Sg. Rep. II 34: VII-L. III – Marschlinger Hof Nr. 17/18.
Am Dienstag, den 12. Februar 1929, brach gegen 7:30 Uhr in Schillings Theater ein Feuer aus. Die alarmierte Feuerwehr rückte zunächst nur mit einem kleinen Löschwagen, der sogenannten Minimax-Kolonne, aus. An der Brandstelle eingetroffen erkannte sie das Ausmaß eines Großbrandes und alarmierte die gesamte Freiwillige Feuerwehr, die mit einer Motorspritze und einer mechanischen Leiter herbeieilte. Der Dachstuhl des Theaters stand bei ihrer Ankunft schon in Flammen. Der Brand war in einem Nebenraum der Bühne entstanden und verbreitete sich in Windeseile durch den mit Holzwerk durchzogenen Saalbau Richtung Dach. Das Hauptgebäude war so schnell vom Feuer erfasst, dass sich die Feuerwehr auf die Rettung der Nebengebäude und der Kirche St. Mathildis beschränken musste. Mit acht Schlauchleitungen kämpften die Kameraden gegen die Flammen. Beherzte Helfer sprangen in den Raum hinter der Bühne, um einige städtische Theaterrequisiten in den Garten zu schleppen. Auch aus dem Restaurant und den Wohnräumen im Eckgebäude reichten sie Möbel und Betten aus den Fenstern. Aus dem Saalanbau und dem Garderobenraum im ersten Stock brachten sie Teppiche, Korbsessel und Tische in Sicherheit und aus dem Kinosaal rettete man mit großem Aufwand den wertvollen Flügel.
Gegen 9:30 Uhr brach der breite Frontgiebel des Hauses, von dem bis dahin der Name „Schillings Theater“ leuchtete, mit großem Getöse zusammen und stürzte auf die Straße. Kurz darauf rückte eine Abteilung Soldaten mit Hacken und Schaufeln an, um die Straße zu beräumen und die Feuerwehr zu unterstützen. Die konnte jede Hilfe gebrauchen. Denn zu dem verheerenden Feuer kam Eiseskälte, die die Löscharbeiten extrem erschwerte: minus 26 Grad. An den noch stehenden Außenwänden des Theaters lief das Löschwasser herab und bildete lange Eiszapfen, während von innen noch die Flammen glimmten. Die Kleidung der Feuerwehrleute war komplett mit Reif bedeckt und ihre Hände wurden so steif, dass sie sich häufig bei der Arbeit abwechseln mussten. Helfende Frauen eilten mit Kaffeekannen umher, um den Feuerwehrleuten einen wärmenden Schluck zu reichen. Die großen Löschwassermassen flossen die Straße hinab, konnten von den herbeigeschafften Sandsäcken kaum aufgehalten werden, teilweise stand das Wasser auf der Straße 20 Zentimeter hoch, und wo es nicht schnell genug gefror, flutete es die Keller der anliegenden Häuser. Der Brand des Theaters war nicht aufzuhalten, auch der kleine Saal fiel den Flammen zum Opfer. Das Seitengebäude (Marschlinger Hof 18, heute „Neue Bühne“) und die Nachbarhäuser wurden, auch dank der günstigen Windlage, nicht vom Feuer erfasst. Menschen kamen bei dem Großbrand nicht zu Schaden. Ein Glücksfall, denn das moderne Lichtspieltheater zeigte dienstags bis donnerstags ab 8 Uhr morgens Filme.
Der Theaterbesitzer Schilling wartete nicht lange mit der Errichtung eines neuen Theaters. Bereits im Mai desselben Jahres begann Maurermeister und Architekt Hermann Baranke mit dem Neubau. Das heutige Erscheinungsbild des Theaters im Stil der Moderne geht auf den Architekten Carl Fugmann zurück, der das Haus nach den Prinzipien eines modernen Lichtspieltheaters entwarf.
Sowohl das Theater als auch die Feuerwehr sind heute im Brandfall sehr gut gerüstet. Im Theater gibt es u.a. Sprinkler- und Belüftungsanlagen, Feuerlöscher, Brandschutzwände und einen Schutzvorhang zwischen Bühne und Zuschauerraum. Würde heute ein Großbrand ausbrechen, könnten im Bedarfsfall sechs Freiwillige Feuerwehren mit bis zu 80 Kameraden aus Quedlinburg und Umgebung ausrücken. Jedes Fahrzeug könnte mit vier Schläuchen mit Druck löschen, dadurch kämen deutlich größere Löschwassermengen zustande als noch vor 100 Jahren, die dank der Kanalabflüsse auf den Straßen auch nicht mehr die Keller der angrenzenden Häuser fluten würden.
König Heinrich I. bestätigt dem Kloster Corvey, das Wahlrecht, den Zehnt von den eigenen Gütern und die Immunität. Quedlinburg, 22. April 922. Faksimile der Urkunde, LUP AG Köln, 2019.
Maße: L: 49,3-50,2 cm, B: 49,5-50,4 cm, H (Siegel): 3,2 cm. © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Christian Müller M.A.
Unser erstes Objekt des Monats im neuen Jahr ist das Faksimile einer Urkunde, die Grund für viele Feierlichkeiten im Jahr 2022 ist. Am 19. Mai 2019 war sie im Original erstmalig in der Sonderausstellung Heinrich I. in Quedlinburg zu sehen: Die „Gründungsurkunde“ unserer Stadt. Ostern 922, am 22. April, siegelte Heinrich I. ein königliches Dokument, das dem bedeutenden Kloster Corvey in Westfalen besondere Rechte zusicherte. Das Diplom ist im Königshof, der „villa quitilingaburg“ ausgestellt und der erste schriftliche Nachweis über die Existenz Quedlinburgs.
Am Anfang der Urkunde steht ein großes C, das Chrismon, abgeleitet von dem Wort: „Christus“. Hiermit wird in zeichenhafter Form der göttliche Beistand für das Rechtsgeschäft erbeten. Die erste Zeile ist auffällig groß. Sie ist in der sogenannten Auszeichnungsschrift geschrieben und beginnt mit der Anrufung Gottes, der Invocatio. Diese lautet übersetzt: „Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit“. Es folgen der Name und der selbst gewählte Titel des Ausstellers: „Heinrich, König durch Gottes wohlwollende Güte“. Mit dieser Formel bekundet der irdische Herrscher, dass er dem himmlischen Herrscher treu ergeben ist und ihm seine Einsetzung verdankt. Im Text finden sich viele Abkürzungen, die mit einer 8 gekennzeichnet sind. Sie waren den wenigen Gelehrten, die Anfang des 10. Jahrhunderts schreiben konnten, wohl vertraut. Die Art der Abkürzungen stammt aus der Antike. So steht x-p-o für Christo (Christus) oder e-p-s für episcopus, übersetzt „Bischof“. Die Schriftsprache der Urkunde ist Latein, der Schrifttyp zu dieser Zeit eine Minuskelschrift mit Ober- und Unterlängen. Die einzelnen Buchstaben und Worte sind klar und gut zu lesen.
Geschrieben wurde damals mit blauschwarzer Tinte, die aus Galläpfeln und Vitriol hergestellt wurde. Galläpfel wachsen an Wildrose oder Eiche, verursacht durch Gallwespen. Vitriol ist ein Sulfat aus Kupfer, Eisen oder Zink. Im frühen Mittelalter gab es in Europa kein Papier. Daher sind Urkunden auf Pergament geschrieben, das aus Tierhäuten von Schaf, Ziege oder Kalb gefertigt ist. Im Unterschied zu Papier und Papyrus ist Pergament zwar sehr teuer, dafür aber extrem langlebig und unempfindlich. Hätte Heinrich I. seine Urkunden auf Papier geschrieben, wären sie heute wohl nicht erhalten. An der Urkunde sind auch deutlich Falten zu erkennen. Urkunden wurden im Mittelalter zu kleinen Paketen gefaltet, um ihren Inhalt und das Siegel vor Beschädigungen zu schützen. Mit dem Königs-Siegel ist die Urkunde rechtsverbindlich. Unter dem Siegel ist das Pergament kreuzförmig eingeschnitten und sind die Ecken des Schnitts umgeklappt. So konnte das Wachs hindurchfließen und eine feste Verbindung mit dem Pergament bilden. Neben dem Siegel steht ein kompliziertes grafisches Gebilde in Form einer Glocke oder eines Bienenkorbs. Es ist das Rekognitionszeichen, das vor Fälschungen schützen sollte. Es ist gefüllt mit römischer Kurzschrift, den sogenannten tironischen Noten, und lässt sich wie folgt lesen: „Ich, der Notar Simon, habe geschrieben und subskribiert“. Da das Wissen um diese Noten schon bald verloren ging, wurden die aufwändigen Gebilde durch einfache Zeichnungen ersetzt. In der Schlusszeile stehen das Datum in römischen Zahlen, die Segensformel „Amen“ und der Ausstellungsort: „actum in villa quae dicitur quitilingaburg“.
Die Urkunde ging nach ihrer Fertigstellung an das Kloster Corvey, heute wird sie im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen aufbewahrt und nur zu ganz besonderen Anlässen verliehen. Aus diesem Grund haben die Städtischen Museen ein originalgetreues Faksimile anfertigen lassen, das in der neuen Ausstellung auf dem Stiftsberg öfter zu sehen sein wird, als das gut in Münster verwahrte Original.
Breymann, Gustav A. (Hg.): Baukonstruktionslehre mit besonderer Beziehung auf das Hochbauwesen. Ein Handbuch zu Vorlesungen und zum Selbstunterricht. 4 Bände. J. M. Gebhardt’s Verlag, Leipzig 1896-1902. © Foto: Städtische Museen, Doreen Klinger
Ein kleiner Schatz ist 2021 in die historische Bibliothek der Welterbestadt Quedlinburg gekommen und bereichert den dortigen historischen Wissensschatz. Leonore Hammer aus Quedlinburg hat der Welterbestadt eine Buchreihe über Baukonstruktionslehre und außerdem ein Baustofflexikon geschenkt. Die Bücher nutzte ihr Mann, der im Baugewerbe tätig war, als Nachschlagewerke. Die „Baukonstruktionslehre mit besonderer Beziehung auf das Hochbauwesen. Ein Handbuch zu Vorlesungen und zum Selbstunterricht“ verfasste Gustav A. Breymann in den Jahren 1896 bis 1902. Die Buchreihe umfasst vier Bände, die alle einen aufwändig gestalteten Prachteinband aus Halbleder mit Gold- und Ornamentprägung sowie einen dreiseitig marmorierten Schnitt haben. Die prachtvollen Einbände schützen umfangreiches Wissen zu Architektur: Band eins erklärt umfassend Konstruktionen in Stein: Mauern, Gesimse, Balkone, Gewölbe, Steintreppen, Dacheindeckungen, Fußböden und Putzarbeiten. Band zwei erläutert das Bauen mit Holz: Holzverbindungen, Hängewerke, Wände, Balkenlagen, die Berechnung von Holzkonstruktionen, Dächer, Gesimse, Treppen, Türen, Fenster und Laden. Band drei befasst sich mit dem Baustoff Eisen, schildert Grundlagen für die Berechnungen von Hochbaukonstruktionen und erklärt verschiedene Eisenverbindungen für Stützen und Träger, Decken, Wände, Erker, Treppen, Deckungen und Dächer. Band vier trägt den Titel „Verschiedene Konstruktionen“ und befasst sich mit Feuerungs- und Heizungsanlagen, Wärmetransmission, Lüftung, Wasserversorgung, Beleuchtung, Haustelegraphen und Telefonen sowie der Beleuchtung mittels Elektrizität und Gasbeleuchtungsanlagen. Auf insgesamt 1635 Seiten vermittelt die Buchreihe die Grundlagen der Baukonstruktionslehre des 19. Jahrhunderts. Jeder Band hat außerdem einen umfangreichen Anhang an Abbildungen, die den Textteil noch übertreffen: 401 Lithografien (teilweise fotolitografiert und in Farbe) und 3140 Zeichnungen in Holzschnitt. Damit sind die Bücher auch ein Zeugnis der kunstvollen Drucktechnik des 19. Jahrhunderts und vermitteln einen Eindruck des alten Handwerks der Lithografie. Die Lithografie ist das älteste Flachdruckverfahren und gehörte im 19. Jahrhundert zu den am meisten angewendeten Drucktechniken für farbige Drucksachen. In mühevoller Handarbeit haben die Lithografen von den Druckvorlagen möglichst genaue Reproduktionen manuell und seitenverkehrt auf einen Lithografiestein übertragen. Vom Stein zu drucken war die Aufgabe des Steindruckers.
Die Buchreiche vermittelt durch ihre sehr aufwendige Gestaltung viel vom Wert, der damals der Handwerkskunst entgegengebracht wurde. Auch heute sind solche historischen Nachschlagewerke von unschätzbarem Wert für die Arbeit der Denkmalpflege. So manches historische Bauwerk konnte dank der überlieferten Konstruktionstechniken originalgetreu repariert bzw. restauriert werden.
Zur Konstruktion von langlebigen Lebküchenhäusern finden sich leider keine Hinweise in Breymanns Baukonstruktionslehre, auch wenn sicherlich viel Inspiration in Verbindungstechniken darin zu finden ist. Wer sich die kunstvoll gestalteten Bände ansehen, in architektonisches Wissen eintauchen oder sich inspirieren lassen möchte, kann dies auf Anmeldung im Lesesaal des Stadtarchives unter stadtarchiv@quedlinburg.de tun.
Das Team der Städtischen Museen und des Archives der Welterbestadt Quedlinburg wünschen allen Lesern ein schönes Weihnachtsfest – vielleicht liegen ja unter dem ein oder anderen Weihnachtsbaum auch Bücher, die einen Schatz an Wissen bergen.
Bücherschrank und Scherenstuhl, 1920, Holz mit Glaseinsätzen, Maße: B 243 cm, H 213 cm, T 54 cm; © Foto: Städtische Museen, Doreen Klinger
Zwei ganz besondere Möbelstücke können Nutzer des Stadtarchivs seit Kurzem sehen und sogar benutzen. Im Lesesaal des Archives haben ein großer Bücherschrank und ein dazugehöriger Stuhl ein neues Zuhause gefunden. Die Welterbestadt Quedlinburg erhielt die Möbelstücke 2021 von der Familie Finck aus Thale geschenkt. Auf Wunsch des Oberbürgermeisters Frank Ruch wurden beide im Lesesaal des Archives aufgestellt, damit die Bürger der Welterbestadt etwas davon haben. Der Schrank ist reich verziert mit Schnitzereien: hölzerne Pilaster und filigran geschnitzte Fassungen für die Glaseinsätze sowie dekorative Holzgriffe und ein aufwändig gefertigter Holzaufsatz machen aus ihm ein einzigartiges Möbelstück. Der Schrank beherbergt nun die Handbibliothek für die Leser. Zur Geschichte des Möbels hat die Schenkerin Claudia Finck eine kleine Lebensgeschichte aus der Perspektive des Objektes selbst verfasst:
„Wenn der Bücherschrank erzählen könnte, dann würde er vielleicht so beginnen: Im Jahr 1920 wurde ich, der Bücherschrank, von Oscar Himmelsbach (1885-1956) aus der Freiburger Firma Gebrüder Himmelsbach Aktiengesellschaft, Holzgroßhandel, Imprägnier- und Sägewerke, für sein Wohnhaus in der Maximilianstraße im Stadtteil Wiehre in Freiburg im Breisgau in Auftrag gegeben. Und zwar bei der renommierten Hofmöbelfabrik Adolf Dietler, die bis in die fünfziger Jahre bestand. Noch heute gibt es in der Freiburger Innenstadt eine Dietler Passage. Ich, der Bücherschrank, stand in einem großen Jugendstilhaus im sogenannten Herren- und Bibliothekszimmer und war bald gut gefüllt und von der ganzen Familie viel besucht. Das Haus bewohnten Oscar Himmelsbach und seine Frau Elisabeth mit ihren drei Kindern bis zum Jahr 1940. Da eine größere Renovierung geplant war, wurde ein Großteil der Einrichtung ausgelagert. Vorübergehend sollte es sein. Es kam ganz anders. Im November 1940 wurde das Haus durch eine Bombe total zerstört. Nach dem Tod von Oscar und Elisabeth und deren Sohn Oscar erbte mich die Enkelin Claudia Finck, geb. de Frênes. So kam ich, der Bücherschrank, aus dem südlichen Schwarzwald, in den schönen Harz nach Thale und von dort hierher. Mein treuer Begleiter, der Scherenarmstuhl, stammt auch aus den Händen Adolf Dietlers und teilt mein Schicksal. Er stand immer in meiner Nähe und wurde beim Stöbern in den Büchern gern benutzt. Nun haben wir beide unseren 100. Geburtstag hinter uns und sind noch immer stabil und sehr ansehnlich. Ich hoffe, wir werden noch viele Jahre gemeinsam hier stehen können und die Besucher durch unseren Anblick erfreuen.“
Die Mitarbeiter des Archives bedanken sich auf diesem Wege nochmals bei Frau Finck für dieses schöne Geschenk, das genau rechtzeitig zum 120. Geburtstag des Stadtarchives kam. Sie werden sich gut um den Stuhl und den Schrank kümmern und den Schrank stets mit bestem Lesestoff füllen.
Weinglas 2. Hälfte 19. Jahrhundert, Durchmesser Kelch 6,2 cm, Standfläche 7,2 cm, Höhe 17 cm, Fassungsvermögen 100 ml © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Doreen Klinger.
Der Herbst steht vor der Tür, deswegen ist das Objekt dieses Monats dem Herbsten gewidmet. Gemeinhin denkt man beim Herbst an bunte Laubfärbung, fallende Blätter und stürmischen Wind. Doch mit „Herbsten“ wird auch die Weinlese bezeichnet.
Der Harz ist keine typische Weinbauregion, doch über Jahrhunderte wurde auch in Quedlinburg überwiegend durch die Klöster und das Stift Wein angebaut und getrunken. Schon Otto I. verfügte in der Gründungsurkunde des Damenstiftes Quedlinburg 939, dass jährlich aus den Weingütern Ingelheims ca. 10.000 Liter Wein geliefert werden sollten. Es war der beste Wein der damals im Reich angebaut wurde. Der Wein wurde nicht nur zum Abendmahl in den Messen verwendet, am Hof der Äbtissin wurde er auch außerhalb des kirchlichen Zeremoniells getrunken. Zum Genuss des edlen Rebensaftes gehört natürlich stets das passende Glas.
Ein besonderes, nicht ganz so altes Exemplar in der Sammlung der Städtischen Museen ist das Weinglas aus dem Besitz der Dorothea Luise Hamm (1888-1945), genannt Dora. Sie stammte aus einer wohlsituierten Familie, die das Gehöft in der Oeringer Straße 4-8 landwirtschaftlich bewirtschaftete. 1895 bauten ihre Eltern Wilhelm und Clara Hamm dort eine Backsteinvilla, heute Oeringer Straße 6.
Dorothea war eine unabhängige Frau: Sie genoss eine Ausbildung im Lettehaus Berlin, das von einem Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts betrieben wurde. In der dortigen, 1890 gegründeten Photographischen Lehranstalt, konnten sich bürgerliche Frauen, denen noch kein Zugang zu universitärer Bildung möglich war, auf wissenschaftlicher Grundlage ausbilden lassen. Frau Hamm erlernte dort den Beruf der Röntgenassistentin. Später heiratete sie Werner Loesener und hatte mit ihm gemeinsam zwei Söhne. Die Städtischen Museen erhielten das Glas aus dem Nachlass Doras.
Bis heute gibt das Weinglas einige Rätsel auf. Es stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der das aufstrebende Bürgertum die Tafelkultur mehr und mehr bestimmte. Man stellte wachsende Ansprüche an Geschirr und dessen dekorative Ausgestaltung: Weingläser wurden kunstvoll bemalt, geschliffen, graviert, geätzt und vergoldet. So auch das Glas von Dora Hamm, das sehr filigran in Gold bemalt ist. Eine Seite des Kelches ziert eine Fächer tragende Frauengestalt in barocker Kleidung mit Reifrock und Spitzenverzierungen. Ihre Haare sind im Nacken lose mit einer Schleife gebunden. Sie trägt einen federgeschmückten, an einen Zylinder erinnernden Hut. Die Frau wird eingerahmt von netzartig rankenden Pflanzen und einem Vogelschwarm, so dass der Eindruck entsteht, sie würde spazieren gehen. Die andere Seite des Kelches trägt den zweideutigen Spruch „Nihm du mich oder bezahle du mich“, was vermuten lässt, dass das Glas wohl eher für den sehr privaten Gebrauch und nicht für eine Festtafel mit Gästen bestimmt gewesen sein wird.
Der Kelch ist außerdem Gold gerahmt und wird von einem Stiel gehalten, der sich am oberen Ende zu einer Ringscheibe verbreitert, die das Abrutschen der Finger verhindert. Diese Stielform stammt vom venezianischen Glas des 16. Jahrhunderts und war bis Anfang des 20. Jahrhunderts üblich. Mit dem Art Déco setzten sich dann die seit der Jahrhundertwende diskutierten, bis heute verwendeten Zweckformen durch. Heute folgt die Glasgestaltung der Funktion: Es gibt unterschiedliche Kelchformen für Rot- und Weißwein, die Gläser sind deutlich größer und werden nur halb gefüllt, damit sich die Aromen – auch des in der Quedlinburger Region heute wieder geernteten Weines - perfekt entfalten können.
Dreschflegel, Holz und Leder, Stiel 159,5 cm lang, Durchmesser 2,5 cm; Flegel 61 cm lang, 6 cm Durchmesser © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Doreen Klinger M.A.
Die Erntezeit ist fast vorüber, allerorts sah man in den vergangenen Wochen Mähdrescher auf den Feldern, große Staubwolken verkündeten schon von Weitem ihren Einsatz. Doch diese maschinelle Erleichterung der Ernte gibt es noch gar nicht so lange. Erst in den 1950’er Jahren kamen Mähdrescher zum Einsatz, vorher waren es Dreschmaschinen (ab Ende des 18. Jahrhunderts). Bis dahin nutzten Bauern jahrhundertelang Dreschflegel. Der Dreschflegel ist ein altes bäuerliches Werkzeug zum Dreschen. Dreschen bezeichnet den mechanischen Prozess des Herauslösens der Körner von Getreide, Hülsenfrüchten und Ölsaaten nach der Ernte, um die Körner aus den Ähren bzw. Hülsen zu lösen. Beim Dreschen entsteht ein Gemisch aus Stroh, Spreu und Körnern, aus dem dann zuerst das Stroh abgesiebt und danach die Spreu von den Körnern getrennt wird.
Der Dreschflegel aus der Sammlung der Städtischen Museen entspricht der typischen Bauweise eines solchen Gerätes: Er besteht aus einem hölzernen Stiel, an dem mittels eines beweglichen Bauteils aus Leder der eigentliche Flegel befestigt ist. Dieser ist ein ca. 6 cm dicker, 60 cm langer, grob bearbeiteter Prügel aus Hartholz. Gedroschen wurde auf dem Tenne genannten befestigten Boden einer Scheune. Mit dem Stiel wurde der gesamte Dreschflegel so durch die Luft geschleudert, dass die vorne angebrachte Keule mit großer Kraft auf die am Boden liegenden Getreidebündel aufschlug. Auf diese Weise wurden die Getreidekörner aus den Ähren herausgeschlagen. In der Regel waren die Scheunen mit einer Tenne so gebaut, dass man sie auf zwei gegenüberliegenden Seiten öffnen konnte, damit der Wind durch die Scheune fegt. In Quedlinburg kann man dies noch an vielen ehemaligen Ackerbürgerhöfen erkennen, z. B. im Konvent 27 oder in der Marktstraße 12. Mit dem Dreschflegel schlugen die Bauern in einem abgestimmten Takt auf das Getreide ein, das durch die Schlagkraft in die Luft flog. Die schweren Körner fielen zu Boden und die leichten Anteile, wie Stroh und Spreu, wurden vom Wind über die Tenne hinweggefegt. Im Mittelalter wurde der Dreschflegel von Bauern auch als Waffe verwendet. Im 12. Jahrhundert wurde er sogar weiter entwickelt zum Streit- bzw. Kriegsflegel, bei dem das Lederband durch eine Kette ersetzt und der Flegel mit Spitzen (z. B. Nägeln) versehen wurde. Aus dieser Waffe entstand später der Morgenstern.
Dreschflegel kennt man in Deutschland heute kaum noch, obwohl sie weltweit verbreitet waren. Doch manches dieses jahrhundertealten Werkzeuges hat sich erhalten: Der japanische Dreschflegel, genannt Nunchaku, ist in Asien als Waffe für traditionelle Kampfkünste verbreitet. In Deutschland nutzt man den Dreschflegel nur noch verbal zur Bezeichnung einer rücksichtslosen Person (Flegel) oder als saloppen Begriff für Prügel (Dresche).
Sonnenschirm, Holz, Seide und Elfenbein, ca. 19. Jh.; Durchmesser 55cm, Länge 51cm. © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Cathrin Gutsche.
Sonnenschirme stehen vor Cafés, am Strand oder im Garten auf der Terrasse. Aber wer käme heute noch in Deutschland auf die Idee, einen Sonnenschirm auf den sommerlichen Stadtbummel oder den Strandspaziergang mitzunehmen? Die zierlichen Geräte schmücken schon lange nicht mehr die Hand einer vornehmen Dame, sondern wurden komplett von Sonnenbrille und Sonnencreme abgelöst. Doch Brille und Creme mit UV-Schutz wurden erst im 20. Jahrhundert erfunden. Sonnenschirme gibt es schon viel länger: seit dem Altertum gab es sie in Ägypten, Persien und China. Nach Europa kamen sie über Griechenland, in Texten des griechischen Dichters Aristophanes wurden sie schon im 4. vorchristlichen Jahrhundert erwähnt. Im mittelalterlichen Europa scheinen sie in Vergessenheit geraten zu sein, denn sie tauchen erst im 16. Jahrhundert in Italien wieder auf. Maria de Medici soll den Sonnenschirm im 17. Jahrhundert am französischen Hof eingeführt haben, von wo aus er das sonnige Europa eroberte. Denn der Trend zur Sonnenbräune hat sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Bis dahin war jahrtausendelang ein heller Teint – die heute noch sprichwörtlich gebrauchte vornehme Blässe – vor allem für Frauen ein wichtiges Schönheitsideal. Gebräunte Haut war ein Zeichen für Arbeit im Freien, welche traditionell nur Männer und Frauen der unteren Schichten ausübten. Sonnenschirme entwickelten sich zu einem wichtigen Mode-Utensil der Damen, die damit ihre weiße, makellose Haut schützten. Besonders verbreitet waren Sonnenschirme scheinbar im 19. Jahrhundert, wo sie auf Gemälden zahlreicher Künstler abgebildet sind. Zu dieser Zeit trugen die Damen zusätzlich große, breitkrempige Hüte als Sonnenschutz.
Der kleine Schirm aus der Sammlung der Städtischen Museen der Welterbestadt Quedlinburg stammt wahrscheinlich aus dieser Zeit. Der Handsonnenschirm hat einen in der Mitte geteilten Griff, dessen oberes Ende aus Holz und das untere Ende aus Elfenbein besteht. Ein metallener Ring zum Schieben verbindet die beiden Enden; schiebt man es nach oben, kann man den Griff knicken, so dass der Schirm in der Tasche verstaut werden kann. Die Streben sind ebenfalls aus Holz gefertigt. Das Objekt ist sehr filigran und umfasst gerade einmal 55 Zentimeter im Durchmesser und 51 Zentimeter in der Länge. Viel Schatten entsteht darunter nicht, so dass er hauptsächlich als modisches Accessoire einer Dame von Stand diente. Die seidene Bespannung in grün und beige ist von unzähligen Mohnblüten übersät. Das Blütenmeer verdichtet sich zur Spitze und zum Rand hin und läuft in zarten grünen Fransen aus, die in der Sommerbrise zauberhaft dahinwehen. Seine Spitze ziert eine Kette aus neun kleinen Elfenbeinperlen.
Heute sind Sonnenschirme hierzulande eher in Händen asiatischer Touristinnen zu sehen – oder eben als große Standschirme auf den Freisitzen der Gastronomie. Dort können seit wenigen Wochen wieder alle Gäste, blass oder gebräunt, den strahlenden Sonnenschein ausgiebig genießen – wenn wohl auch leider ohne eigenen Sonnenschirm, sondern mit Sonnenbrille und guter Sonnencreme.
Christine Supianek-Chassay bei der Untersuchung der baumwollenen Wandbespannung. © Städtische Museen der Welterbestadt Quedlinburg, Doreen Klinger M.A.
Das kleine Kabinett im Schlafhaus der Äbtissinnen hält große Überraschungen bereit. Das winzige Zimmer (ca. 5m²) versteckt sich hinter einer Tapetenwand. Ein kleines, rätselhaftes Zimmer, denn man weiß nicht, wie es tatsächlich genutzt wurde. So wird es auch unterschiedlich genannt: Boudoir, Ankleidezimmer, Teezimmer oder Kleines Kabinett.
Dort untersuchten Anfang Mai zwei Restauratorinnen die historischen Wandbespannungen: Andrea Knüpfer und Christine Supianek-Chassay nahmen die Wände genau unter die Lupe und förderten einige Überraschungen zu Tage. „Das Zimmer ist raumfüllend mit textiler Wandbespannung ausgekleidet. Alle vier Wände sind mit einem floral gestalteten Leinengewebe bespannt. An der Nordwand ist dies nicht sofort sichtbar gewesen, denn diese ist mit einem indisch inspirierten Baumwolldruckstoff bespannt. Darunter verbirgt sich aber zusätzlich ein gestreifter Seidentaft, und darunter wiederum die leinene Wandbespannung, die an den anderen Wänden zu sehen ist.“ erläutern die Restauratorinnen. Die leinene Wandbespannung wirkt auf den ersten Blick unscheinbar gelb mit braunen Blumen und Blättern. Doch der Anschein trügt. Die Analyse ergab, dass es sich um etwas ganz Besonderes handelt. Sie stammt wahrscheinlich aus dem 1. Drittel des 18. Jahrhunderts und wurde in einem aufwändigen Verfahren angefertigt: Sie wurde gaufrier-kalandriert. Dabei wird mit einer Walze, in die vorher das Muster eingraviert wurde, mit Hitze und großem Druck das Muster in den Stoff graviert. Die Struktur des Gewebes schimmerte danach ähnlich wie Damast. Das ist heute nicht mehr zu erkennen, da sich in den nicht gepressten Bereichen der Staub der Jahrhunderte abgesetzt hat und heute als braunes Blumenmuster erscheint. Mit einem Spezialschwamm wurde ein kleiner Bereich gereinigt, der die ursprüngliche Farbe und Struktur zeigt: ein warmes Gold.
Die Nordwand schmückt eine seidene Bespannung mit großen, floralen Motiven. Im Gegensatz zu ihrem heutigen Erscheinen war sie ursprünglich cremefarben, geschmückt mit unzähligen Blumen und Blättern wie Tulpen, Eichenlaub und Kaiserkronen, die alle in ihren natürlichen Farben erstrahlten. Die Bespannung weist leider große Schäden auf. Bis zur Museumsschließung 2019 war sie hinter einer Glasscheibe geschützt. Doch bereits in den 1920ger Jahren muss sie geschädigt gewesen sein, denn sie wurde in einem falschen Rettungsversuch mit Leim auf die Wand geklebt. Der Kleber dunkelte nach und hat dadurch die ursprünglich leuchtend bunten Motive braun verfärbt. Von der weißen, zwischen Leinengewebe und Baumwollstoff noch befindlichen Seidentapete ist wenig zu erkennen. An den Randbereichen sieht man, dass sie mit zartblauen Streifen verziert ist. Bei genauem Blick unter die Schmuckleisten, die die Nähte und Ränder verdeckten, zeigten sich auch an den Montagenägeln der dreiseitigen Leinenbespannung Reste der weißen Seidenbespannung und Reste der Baumwollbespannung mit dem schönen Blumenmuster. Der Raum war also dreimal vollständig mit kostbarem Stoff bespannt.
Beide heute sichtbaren Wandbespannungen sind äußerst exquisit und zeugen vom guten Geschmack und Repräsentationsbedürfnis der Äbtissinnen. Allerdings ist die Datierung der Bespannungen und die Zuordnung zu einer bestimmten Äbtissin noch schwierig. Wahrscheinlich wurde der Raum von Marie Elisabeth von Holstein-Gottorf mit der Leinentapete gestaltet (Regierungszeit 1718-1755), denn ihr wird der Fußboden des Ankleidezimmers zugeschrieben.
Das Lusthaus im Lustgarten des Quedlinburger Stiftsberges, Foto: Kurt Tschuschke, um 1930; Maße: 23,0 cm x 17,5 cm; © Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg
Alljährlich im Juni öffnen sich für wenige Tage in 20 Ländern Europas die Tore historischer Gartenanlagen. In diesem Jahr stehen die „Tage der Parks und Gärten“ vom 4. bis 6. Juni unter dem Motto „Rendezvous im Garten“. Daher ist unser Objekt des Monats heute ein Foto, in dessen Motiv man heute noch lustwandeln kann: Der Lustgarten auf dem Quedlinburger Stiftsberg, der zu den Gartenträume-Anlagen Sachsen-Anhalts gehört.
Bereits im 10. Jahrhundert hat es mit großer Wahrscheinlichkeit direkt am Stiftsberg, in jedem Fall in der näheren Umgebung, Gärten gegeben, die zur Versorgung des Damenstiftes und bei Hoftagen auch zur Versorgung des Königs, seiner Gefolgschaft und der Gäste dienten. Der erste schriftlich nachweisbare Garten auf dem Stiftsberg wurde in der Regierungszeit der Äbtissin Elisabeth II. (reg. 1574-1584) im Nordosten des Stiftsberges angelegt und später zu einem Lustgarten umgestaltet. Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis in das 18. Jahrhundert wurden die kleinen Gärten auf dem Stiftsberg in der Ebene erweitert: Die Äbtissin, Pröbstin und Dechantin ließen sich Gartenanlagen nahe beim Stiftsberg gestalten. Im Süden wurden der Abteigarten, der Brühl und der Dechaneigarten errichtet, im Osten der Propsteigarten. Hierbei handelte es sich um barocke Lustgärten, ausgestattet mit Gartenhäusern, Orangerien, Wasseranlagen, Schmuckpflanzungen sowie Wohn- und Wirtschaftsgebäuden für die Gärtner. Lustgärten dienten der Erholung ihrer Eigentümer, in ihnen wurde flaniert – lustgewandelt – gefeiert und geplauscht.
Bereits auf dem Stadtplan von Carl Christian Voigt aus dem Jahr 1782 ist die heute noch vorhandene Dreiteilung und geometrische Gestaltung des Lustgartens auf dem Stiftsberg in eine obere, mittlere und untere Ebene sichtbar sowie die das Gelände abfangenden Stützmauern zwischen den einzelnen Ebenen. Die auf den Terrassen angeordneten Beete unterteilte eine von Westen nach Osten verlaufende Mittelachse, die ihren Endpunkt bei einem kleinen Lusthaus im Osten der Anlage hatte.
Das Objekt des Monats zeigt das ehemalige Lusthaus im Lustgarten auf dem Stiftsberg in seiner Rekonstruktion aus dem 20. Jahrhundert. Lusthäuser waren im 18. Jahrhundert wichtige gestalterische Elemente herrschaftlicher Gärten. In den Lusthäusern fand man während des Ganges durch den Garten kühlen Schatten und trank Tee - daher werden Lusthäuser auch häufig Teehäuser genannt. Auch der Stadtplan von 1811 zeigt das Lusthaus, das damals ein geschweifter Helm zierte. Die Bepflanzung des Gartens bestand aus Bäumen und Sträuchern, entlang der Nordmauer bildeten drei in einer Reihe stehende Bäume den räumlichen Abschluss. Nach 1812 legte man auf dem breiten Mittelweg eine Rasenfläche an, die Bepflanzungen beiderseits des Lusthauses wurden aufgegeben und das Häuschen in ein Rasenhalbrund einbezogen.
Nach Auflösung des Stifts ging das Schloss mit allen zugehörigen Gebäuden und Gärten in den Besitz des Preußischen Staates über. 1928 kaufte die Stadt das Schloss zurück, richtete im Zuge der Einrichtung des Schlossmuseums auch den Garten wieder her und machte ihn der Allgemeinheit zugänglich. Der Gartenentwurf von 1928 integrierte die vorhandenen historischen Anlagen, verwendete aber auch moderne Elemente der Gartengestaltung. Auf der untersten Terrasse wurde auch das Lusthaus wiederhergestellt. Das Lusthaus war damals mit Wein berankt, wie auf dem Bild zu sehen ist. Im Gegensatz zu seiner früheren Gestalt mit geschweifter Haube und großen, nach beiden Seiten öffnenden Flügeltüren erhielt es bei der Restaurierung 1929 ein flaches Satteldach und verglaste Sprossentüren.
Das Lusthaus wurde aus bisher nicht bekannten Gründen 1958 abgerissen. 1967 wurde der Schlossgarten neugestaltet, hauptsächlich basierend auf den Plänen von 1928. Das Lusthaus mit seiner angrenzenden Bepflanzung wurde nicht wiederhergestellt.
Die gartendenkmalpflegerische Rahmenkonzeption für den Stiftsberg Quedlinburg aus dem Jahr 2006 schlägt vor, das Lusthaus wieder als markanten Abschluss der zentralen Achse in den Garten aufzunehmen. Aktuell gibt es aber keine Pläne zur Wiedererrichtung des Lusthauses. Lustwandeln kann man dennoch im Lustgarten auf dem Stiftsberg – Schatten und Tee findet der Besucher im Schlosskrug am Dom, sobald dieser wieder für den Publikumsverkehr öffnen kann.
Hochzeitspokal Ernst Bansi mit Untergestell und Aufbewahrungsbehältnissen; Inventarnummer: V/6328/C; Material: Zinn, Silber und Gold; Maße: Breite: 28,0 cm; Höhe: 63,0 cm; Foto: Christian Müller M.A., Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg
Prosit – auf das glückliche Brautpaar! Eine Hochzeit bietet Anlass zum Anstoßen und für Glückwünsche an das Brautpaar. Außerdem erhalten die Brautleute meist viele Geschenke. Ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk möchten wir euch heute vorstellen: einen Hochzeitspokal, auch Hochzeitsbecher oder Brautbecher genannt. Er war ein Geschenk von Friedrich Besser und seiner Frau Mathilde an die Stadt Quedlinburg anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Mathilde mit dem Quedlinburger Oberbürgermeister Ernst Bansi im Jahr 1900. Früher war es ein weit verbreiteter Brauch, den Brautleuten solch ein Trinkgefäß zu schenken. Meistens waren es Doppelpokale, d. h. sie bestanden aus zwei verzierten und miteinander verbundenen Kelchen, so dass Braut und Bräutigam gleichzeitig aus dem Doppelbecher trinken konnten. Der 63 Zentimeter große Quedlinburger Hochzeitspokal besteht sogar aus drei Teilen: Er hat einen runden Fuß, in dessen Oberseite eine Widmung eingraviert ist. Der mittlere Teil ist ein langstieliger Kelch mit großem Fassungsvermögen. Den Abschluss bildet ein weiterer Kelch, der passgenau als Verschluss und dekoratives Oberteil dient. Der Pokal ist ein Meisterwerk der Goldschmiedearbeit, reich verziert mit filigran ausgearbeiteten Medaillons, floralen Elementen, Ringen und Engeln. Der große mittlere Pokal ist mit dem Stadtwappen versehen. Die Gravur im Fußteil lautet: „Am Tage der Vermählung ihrer Tochter Mathilde mit dem Oberbürgermeister der Stadt Quedlinburg Ernst Bansi schenkten diesen Becher der Stadt Quedlinburg Friedrich Besser & Frau Mathilde geb. Schacht. Quedlinburg am 1. September 1900“. Demnach war der Hochzeitspokal kein Geschenk für die Brautleute, sondern für die Stadt. Ob man der Stadt damit wünschte, dass die Verbindung der Brautleute für sie fruchtbar sei? Prosit heißt wörtlich übersetzt es nütze oder es sei zuträglich. Ob es am Hochzeitspokal lag oder nicht, Oberbürgermeister Ernst Bansi war der Stadt Quedlinburg sehr zuträglich. Um nur einige seiner Verdienste aus der Zeit nach seiner Hochzeit mit Mathilde Besser zu nennen: 1901 wurde der Erweiterungsbau des Rathauses fertig gestellt, er trieb die Kanalisation der Stadt voran (1902 begonnen), ließ ein Krankenhaus, eine Realschule und eine städtische Badeanstalt bauen, einen neuen Zentralfriedhof anlegen und begann den Bau eines Elektrizitätswerkes. 1911 wurde ein königlich preußisches Lehrerseminar in Quedlinburg eingeweiht, die heute nach ihm benannte Sekundarschule Ernst Bansi. Die Familie lebte in einer Villa, die Ernst Bansi bauen ließ, in der Brühlstraße 3.
Der Brautvater Friedrich Besser (1840-1905) war einst Quedlinburger Stadtrat und leidenschaftlicher Kunstsammler. Mit seinem testamentarischen Vermächtnis legte er den Grundstock für die städtische Kupferstichsammlung der Museen, in dem er über 3000 Grafiken seiner Heimatstadt vermachte.
Bis zum Jahr 2015 wurde der Hochzeitspokal in einem Tresor im Quedlinburger Rathaus verwahrt. Heute hat der äußerst prunkvolle und nun museal inventarisierte Hochzeitspokal ganz in der Nähe der Besser‘schen Kunstsammlung im Museumsdepot sein sicheres Zuhause.
Rundnackige Axt; Fundort: Blankenburg (1975); Material: wahrscheinlich Basalt; Länge gesamt 18,2 cm, Schneide 6,8 cm, Auge 7,3 cm; Stärke (mittig): 8,4 cm, Durchmesser Auge: 3,4 cm und 3,7 cm, Gewicht: 2156 g; Foto: Christian Müller M. A., Städtische Museen Welterbestadt Quedlinburg
Als dieses Werkzeug zum Einsatz kam, war der Harz noch von dichtem Wald bedeckt. Die steinerne Axt stammt aus dem Jung- bis Spätneolithikum (3800-2800 v. Chr.), also aus der Steinzeit. Unsere Vorfahren benötigten sie sicher regelmäßig, um die Wildnis der Umgebung in urbares Land zu verwandeln. Das Objekt wird fachlich als rundnackige Axt bezeichnet, sie gehört zur Obergruppe der Steinäxte und besteht wahrscheinlich aus Basalt. Man bezeichnet sie auch als mitteldeutsche Rundnackenaxt vom Sächsischen Typ. Diese Äxte wurden über Jahrtausende in Nord-, Mittel- und Westeuropa genutzt. Neben Äxten aus Stein gab es in der Vorgeschichte auch solche mit Klingen aus Geweih, Feuerstein, Buntmetall und Eisen. Der Schaft war aus Holz, daher ist er bei den meisten archäologischen Funden dieser Art nicht erhalten. Im Zusammenhang mit dem Objekt tun sich spannende Fragen auf, unter Anderem: War es überhaupt ein Werkzeug? Ist das eine Axt oder ein Beil? Wie wurde sie hergestellt? Nach der wissenschaftlichen Definition werden die historischen Geräte mit durchbohrter Klinge als Axt bezeichnet, nicht durchbohrte als Beil. Zur Herstellung wählte man einen Stein in geeigneter Form, oder man zerlegte einen größeren Stein durch Schlag oder Sägen. Das Rohstück konnte durch Picken weiter in Form gebracht werden. Danach wurde der Rohling auf Sandsteinplatten geschliffen. Die Bohrung wurde mittels eines hölzernen Bohrstabes vorgenommen. Die große Mühsal der Herstellung kann man sich kaum vorstellen. Ebenso die Anstrengung bei der Arbeit mit der ca. 3 kg schweren Axt. Gewöhnlich wurden sie zur Be- und Verarbeitung von Holz verwendet, z. B. zur Rodung von Wald sowie zum Haus- und Brunnenbau. Die balligen Wangen unseres Objektes weisen darauf hin, dass es eher zum Spalten als zum weiteren Bearbeiten von Werkstücken geeignet war, denn diese Form erhöht den Spalteffekt. Beile und Äxte kamen auch als Waffen und bei der Opferung von Tieren sowie bei Hinrichtungen zum Einsatz. Ebenso dienten sie als Kultobjekte.
Unsere rundnackige Axt stammt aus der Umgebung von Blankenburg. Sie kam 1975 in den Bestand der Sammlung der Städtischen Museen. Wenn ihr nun das nächste Mal Holz spaltet oder im Garten einen Baum fällt, könnt ihr euch an die Jahrtausende alte Tradition erinnern und euch an der Schärfe eurer (wahrscheinlich metallenen) Axt erfreuen. Oder nutzt ihr ein Beil? Den Unterschied kennt ihr ja nun.
50 DM-Banknote der Serie BBK3: Deutsche Bundesbank (gemeinfrei).
instrumentum architecturae: Proportionalwinkel, 18. Jahrhundert, Messing. Maße Winkel: B 17,3 cm, H (beide Schenkel zusammen) 3 cm, Materialdicke 4 mm; Maße Kreuz: B 9,5 cm, L 18,1 cm, Materialstärke 1 mm. Inventarnummer: V/696/C. © Foto: Städtische Museen, Christian Müller M.A.
Das Objekt dieses Monats März gibt Einblick in die Arbeit von Architekten und Bildhauern vor ca. 250 Jahren. Es stammt aus dem Nachlass des Quedlinburgers Dr. Johannes Spitzmann (1884-1961). Das „Instrumentum Architecturae“ nach Balthasar Neumann“ ist ein Proportionalwinkel, ein analoges Rechengerät. Es diente dazu, die Abmessungen von Bauteilen oder Skulpturen räumlich und proportional zu vergrößern und erleichterte so die Arbeit von Architekten und Bildhauern, die Werke der Bildhauerkunst vervielfältigen oder kopieren wollten.
Das Gerät funktioniert nach der Drei-Zirkel-Methode. Dabei werden auf einem Modell Hauptpunkte eingerichtet, von denen ausgehend die erforderlichen Maße mit Stechzirkeln oder Greifzirkeln übertragen werden. Die Hauptpunkte werden auf die herzustellende Skulptur in dem gewünschten Maßstab übertragen und ergeben je nach der erforderlichen Anzahl von Hauptpunkten gedachte Verbindungslinien mehrerer Dreiecke.
Diese spezielle Art des Proportionalwinkels wurde von Balthasar Neumann (1687-1753) erfunden. Der Würzburger Baumeister, Ingenieur und Artillerist nannte es instrumentum architecturae und entwickelte es für die Berechnungen seiner Rokokobauten. Sein bekanntestes Bauwerk ist die Würzburger Residenz; daneben hat er zahlreiche Kirchen und Profanbauten errichtet. Mit seinem Zirkel konnten Proportionen, z. B. von verschiedenen Säulenarten, bequem abgelesen werden. Die nicht mehr ganz so jungen Leser*innen kennen Balthasar Neumann vielleicht noch, aber sicher nicht, weil sie sein Rechengerät benutzten: Balthasar Neumann war auf dem 50 D-Mark Schein abgebildet. Direkt über der Zahl 50 ist sein instrumentum architecturae abgebildet.
Wie das Messgerät in Spitzmanns Besitz kam, ist nicht bekannt. Der Quedlinburger Maler und Lehrer war von 1928 bis 1930 an der Einrichtung des Museums im Quedlinburger Stiftsschloss beteiligt und war außerdem etwa 25 Jahre ehrenamtlicher Leiter der städtischen Kupferstichsammlung und Kunstfachberater der Stadt, deren Gemäldesammlung er auch restaurierte. Spitzmanns Werke sind heute einer der Sammlungsschwerpunkte der Städtischen Museen. Die Sammlung umfasst derzeit 49 Ölgemälde, 787 Grafiken und zwei Schriftstücke von ihm. Spitzmann ist bekannt als Heimatmaler, der gerne mit verschiedenen Zeichentechniken experimentierte und außerdem als Heimatforscher tätig war.
Hygienische Vorschriften gegen die Pest im Jahre 1680. Von Dr. W. Fischer-Defoy, Quedlinburg. Sonderabdruck aus der MEDIZINISCHEN KLINIK, Wochenschrift für praktische Aerzte. Jahrgang 1909, Ausgabe Nr. 44, Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin, N. 24. © Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt Quedlinburg. Foto: Doreen Klinger
Die Covid-19 Pandemie beschäftigt seit Monaten auch viele Quedlinburger. Es wurden weitgreifende Einschnitte in das persönliche Leben durch gesetzliche Vorschriften vorgenommen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind geschlossen, Kinder können nicht zur Schule gehen und viele kleine Einzelhändler kämpfen ums Überleben. Im persönlichen Umfeld achtet man sehr auf Abstand und Hygiene im Umgang miteinander und jeder kennt die „AHA“-Regeln. Eine Pandemie solchen Ausmaßes gibt es zum Glück sehr selten, aber der Blick in unsere Stadtgeschichte zeigt, dass auch Quedlinburg vor ähnlichen Herausforderungen stand: seit dem 14. Jahrhundert gab es immer wieder Pestwellen, gegen die die Stadt ankämpfte. Ende des 17. Jahrhunderts gab es dann erfolgreiche Maßnahmen gegen die Pandemie, von denen das Objekt des Monats berichtet. Es ist ein Heft von Dr. W. Fischer-Defoy aus der Historischen Bibliothek der Welterbestadt. Es befasst sich mit hygienischen Vorschriften gegen die Pest im Jahr 1680. Die Schrift vergleicht drei Flugschriften aus Weimar, Rudolstadt und Quedlinburg. Solche Flugschriften wurden im 17. Jahrhundert überall gedruckt und verteilt, um das Volk zu instruieren, wie der Epidemie zu begegnen sei. Vor Allem sah man die Pest als Strafe Gottes an. Mit gottesfürchtigem Verhalten, Gebet und Demut sollte das Übel abgewendet werden. Darüber hinaus gab es viele Vorschriften für das Alltagsleben. Die meisten dieser Regeln beruhten auf der Ansicht, dass die Krankheit über die Luft übertragen werde. Das Quedlinburger Flugblatt rät denen, die mit Pestkranken zusammenkommen, sich so hinzustellen, dass der Atem des Kranken sie nicht trifft, und oft auszuspeien, weil der Speichel sich zuerst mit dem Gift vereinige. Weitere Anordnungen zielten darauf ab, die Luft rein zu halten: nichts Stinkendes und Fauliges sollte Ursache zur Vergiftung der Luft sein. Gefallenes Vieh, Kehricht und Lumpen sollten vergraben oder vor den Toren der Stadt an bestimmten Stellen abgelegt werden. Schweine sollten nicht in der Stadt gehalten werden. Gewerbliche Verunreinigungen sollten von der Straße ferngehalten werden und Lohgerber, Seifensieder, Lichtzieher, Kürschner und Apotheker sollten ihre Geschäfte, die mit Destillaten und giftigen Sachen zu tun hatten, vor der Stadt verrichten. Weder Kot noch Urin durften auf die Straße gelassen werden, und in die Klosetts sollte Kalk geschüttet werden. Ferner wurde das Ausräuchern der Häuser, dreimal täglich mit Räucherpulvern oder Wermut, Eichenlaub oder Wacholder angeordnet. In den Vorschriften wird auch auf die Gefährlichkeit der Badstuben aufmerksam gemacht, der öffentlichen Versammlungen und der Bedeutung der Prostitution für die Ausbreitung der Pandemie. Das Baden war nur zu Hause erlaubt. Des Weiteren wurden die Ortschaften abgesperrt. Quedlinburg wurde durch die Maßnahmen und eine strenge Absperrung 1680 weitgehend vor der Pest bewahrt, die bereits bis in das benachbarte Halberstadt vorgedrungen war. Lebensmittellieferungen von auswärts mussten 500 Meter vor der Stadt abgelegt werden und wurden dann abgeholt, so dass sich die Menschen nicht begegneten. Neben einer gottesfürchtigen Lebensweise wurde ein maßvolles Leben empfohlen: Sieben bis acht Stunden Schlaf täglich, keine Überarbeitung, aber auch keine Faulheit sowie mäßiges Essen und Trinken. Den Quedlinburgern wurde zudem empfohlen, auf ihr geliebtes, frisch gebrautes, süßes Schwarzbier zu verzichten und stattdessen lieber klaren Schnaps zu trinken.
Natürlich gab es auch Vorschriften zum Umgang mit Pestkranken. Von Pest betroffene Häuser wurden geschlossen, auch die gesunden Bewohner durften sie nicht verlassen. Wenn die Krankheit vorüber war, mussten die Bewohner noch 8 Tage in Quarantäne bleiben. Außerdem wurde ein Pesthof außerhalb der Stadtmauer eingerichtet.
Manche der Vorschriften sind heute überkommen, weil Abwassersysteme, Müllabfuhr und Gesundheitswesen alltäglich für uns sind. An anderen hat sich bis heute nichts geändert, da wir mittlerweile wissen, dass Viren wie Corona über die Atemluft und über nahen Kontakt übertragen werden.
Bild: Gemälde „Winter am Niederrhein“, Öl auf Holz, 35,5 x 47,5 cm; © Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt Quedlinburg. Foto: Christian Müller M.A.
Sehnsüchtig blicken wir manchmal zurück auf die Winter unserer Kindheit. In unserer Erinnerung waren sie weiß, es hat regelmäßig geschneit und wir konnten Schlitten fahren oder Schlittschuhlaufen. Ein Winter mit romantisch verschneiter Landschaft ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Für den Quedlinburger Maler Wilhelm Steuerwaldt waren Winterlandschaften eines seiner Lieblingsmotive. Bekannt ist er noch mehr für seine fantasievollen Darstellungen aus Kirchengewölben in eine Landschaft, in der man Klöster, Schlösser oder Ruinen sieht. Der Maler verband die detailgetreue Abbildung historischer Architektur mit einem sehnsuchtsvollen Ausblick. Das war typisch für die Maler der Romantik. Sie wandten sich ab vom gegenwärtigen Weltgeschehen ins Private und flüchteten sich in die Vergangenheit oder die unberührte Natur. So wie Steuerwaldt auf unserem Gemälde „Winter am Niederrhein“. Es zeigt eine winterliche Landschaft am zugefrorenen Fluss. Auf dem Gewässer drehen vereinzelt Schlittschuhläufer ihre Runden. Im Vordergrund befinden sich drei Personen, die ein Gefährt über das Eis schieben. Es könnte sich um einen Eisschlitten handeln, wie ihn schon der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock – selbst passionierter „Schrittschuh“-Läufer“ - beschrieben hat. Frauen gingen damals nicht Eislaufen, sondern ließen sich von sportlichen Schlittschuhläufern in Schlitten über das Eis schieben. Am verschneiten Ufer des Rheins steht ein kleines strohgedecktes Haus, eine Seite des Giebels ragt fast bis zum Boden. Hinter dem Gebäude streckt ein knorriger, entlaubter Baum seine Zweige in den wolkigen Himmel. Im Hintergrund sind Häuser und Hügel zu erahnen, jedoch durch den Dunstschleier nicht genau zu erkennen. Das Gemälde ist eines der wenigen Bilder von Steuerwaldt, das keinen Ort im Harz abbildet. Der Maler zeichnete sonst überwiegend seine Heimat.
Wilhelm Steuerwaldt wurde am 1. September 1815 in Quedlinburg geboren. Seine Familie wohnte im heutigen Finkenherd 1. Die Begeisterung für Kunst und das Malen hatte er von seinem Vater, der dem Kind die Grundlagen des Zeichnens beibrachte. Als Jugendlicher ging Wilhelm bei dem Halberstädter Architekturmaler Carl Georg Hasenpflug in die Lehre. Im Anschluss besuchte er die renommierte Düsseldorfer Kunstakademie. Die dortige Ausbildung der Maler war speziell darauf ausgerichtet, den steigenden Bilderbedarf des Bürgertums zu decken. Nach seinem Studium in der Rheinmetropole kehrte der junge Maler 1836 nach Quedlinburg zurück und wirkte hier als freischaffender Künstler. Das war zu damaliger Zeit eine Besonderheit, weil es mit einem hohen finanziellen Risiko verbunden war. Bereits drei Jahre später kaufte er gemeinsam mit seinem Vater das Klopstockhaus. Das zeigt, dass er sich als Heimatmaler bereits etabliert hatte. Von 1834 bis 1860 währte seine schaffensreichste Periode. Sehr bekannt sind seine Motive vom Quedlinburger Schloss, der Krypta der Stiftskirche und der Klosterruine Walkenried. Im letzten Drittel des Jahrhunderts änderte sich jedoch der Geschmack des Publikums. Steuerwaldt hatte Absatzprobleme und sein letzter Lebensabschnitt war von Geldsorgen geprägt. Er starb am 7. Dezember 1871 an einer Lungenentzündung, mit nur 56 Jahren. Sein Grab befand sich auf dem Wipertifriedhof in Quedlinburg; es wurde eingeebnet.
Die Sammlung der Städtischen Museen der Welterbestadt Quedlinburg bewahren heute 47 Gemälde von Steuerwaldt, davon neun mit winterlichen Motiven, und 182 Grafiken des Quedlinburger Romantikers. Die schönsten seiner Werke werden im neuen Museum auf dem Stiftsberg einen Platz erhalten und dann der Öffentlichkeit wieder zugänglich sein.
Bild: Lebkuchenmodel mit Kredenzmessern, Holz, 14x19 cm © Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt Quedlinburg. Foto: M.A. Christian Müller
Das Objekt des Monats Dezember macht Lust aufs Backen süßer Lebkuchen. Die Städtischen Museen haben eine stattliche Sammlung an Lebkuchenmodeln von verschiedenen Quedlinburger Bäckereien seit der Barockzeit. Die Modeln sind aus Holz und bis zu 33x25 cm groß. Auf beiden Seiten sind zum Teil sehr aufwendige Motive eingeschnitzt. Mit den Modeln konnten Lebkuchen mit Bildern hergestellt werden – sogenannte Bildlebkuchen. Dafür wurde der Teig in den Model gepresst, auf das Backblech gestürzt und dann gebacken. Anders als heute waren viele der Bildlebkuchen so groß wie eine A4 Seite. Das lässt darauf schließen, dass sie – ähnlich wie das Brot beim Abendmahl – gebrochen und aufgeteilt wurden. Auf den weihnachtlich-religiösen Hintergrund weisen auch die Motive hin, denn häufig sind Gott, Engel oder christliche Symbole dargestellt.
Lebkuchen haben eine lange Tradition, bereits im alten Ägypten gab es mit Honig gesüßte Kuchen. Im Mittelalter breitete sich diese Backtradition über ganz Deutschland aus. Da man für die Herstellung viele und seltene Gewürze benötigt, wurden vor allem Städte an Handelsknotenpunkten Zentren der Herstellung. Zunächst wurde das Gebäck in Klöstern hergestellt. Aufgrund seiner langen Haltbarkeit wurde der Lebkuchen nicht nur zur Weihnachtszeit verzehrt, sondern auch zu Ostern oder anderen Zeiten. Die Lebkuchen waren ein Bestandteil der Fastenküche und wurden z. B. zu starkem Bier serviert. Später entwickelte sich sogar ein eigener Beruf: der Lebküchler.
Die Lebkuchenmodeln in der städtischen Sammlung erinnern aber nicht nur an eine süße Tradition in der Welterbestadt, sondern auch an Quedlinburger Bäckereien, die heute nicht mehr existieren. Ein Model stammt vom Bäcker und Conditor Carl Strube, dessen Geschäft sich Ende des 19. Jahrhunderts im Steinweg 9 befand. Der zweite große Model ist von 1821 von Bäcker H. Timpe. Wo sein Geschäft war, ließ sich noch nicht herausfinden. Sein Name und die Jahreszahl sind am Rand der Form verzeichnet, und die Jahreszahl ist sogar zentral in das Motiv hinein geschnitzt. Viele Modeln in der städtischen Sammlung haben keine Hinweise auf ihre früheren Besitzer. So auch die kleinste Form: Sie zeigt ein Wappen mit Kredenzmessern, das von Meerjungfrauen gehalten wird. Gehörte sie vielleicht der Konditorei des Quedlinburger Damenstiftes? Oder besaß eine Quedlinburger Bäckerei Privilegien, für das Stift zu backen? Die genaue Bedeutung muss noch ermittelt werden. Allgemeine Hinweise zum Leb- oder Honigkuchen und seiner Herstellung in Quedlinburg findet man im Backstubenbüchlein des Albinus Müller (Quedlinburger Annalen, 1999, S. 61ff.), das der Bäcker in der Hohen Straße 13/14 in Quedlinburg ab 1837 führte. Zu Weihnachten wurde Honigkuchen gebacken. Der Name ist eigentlich nicht berechtigt, denn man backte hauptsächlich mit Rübensirup, der nur die Hälfte kostete. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde Honig preiswerter und somit mehr verbacken. Die Verwendung von Sirup an Stelle von Honig war kein Anlass der Beanstandung, wohl aber das falsche Mehl und bestimmte Verzierungen. Bereits 1559 ordnete der Quedlinburger Magistrat ein Polizeiverbot betreffs Quedlinburger Honigkuchen an. Er verbot das Vergolden und Versilbern von Honigkuchen bei zwei Quedlinburgischen Mark Strafe. Die Kuchenbäcker wurden außerdem ermahnt, gute Honigkuchen zu verkaufen und nicht solche aus Roggenmehl. Honigkuchen als Preise bei Glücksrädern wurden verboten, weil dieses Gebäck von außerhalb mitgebracht wurde. Die Hokenfrauen durften nur Quedlinburger Ware verkaufen. Eine Ausnahme waren Nürnberger Lebkuchen, welche es im 16. Jahrhundert in der Apotheke gab.
Bild: Am alten Eingang zum Harzklinikum ist die Dr. Erxleben Rose noch in voller Blütenpracht zu erleben. Foto: Doreen Klinger
Das Objekt des Monats November verbirgt sich nicht in einem der Museen und liegt auch nicht hinter den verschlossenen Türen des Depots. Es ist für jedermann zugänglich und erinnert an eine große Persönlichkeit unserer Stadt, deren Geburtstag sich am 13. November zum 305. Mal jährt: die Dr. Erxleben Rose. Anlässlich des 300. Geburtstages von Dr. Dorothea Christiane Erxleben wurden im Jahr 2015 zwei Exemplare der Rose gepflanzt: Eines am Harzklinikum, das heute ihren Namen trägt, und eines im Garten auf dem Schlossberg. Gezüchtet wurden sie von Herbert Kranz in Schwarzenbach/Saale. Die Rosen tragen kräftige rote Knospen, zarte rosa Blüten und wehrhafte Dornen. Sie sind ein passendes Symbol für Dorothea Erxleben: als Kind war sie kränklich, erhielt gemeinsam mit ihren Brüdern Hausunterricht vom Vater, Dr. Polycarp Leporin. Von ihm übernahm das Mädchen das Interesse für Medizin, er lehrte sie in dem Fach und nahm sie als junge Frau auch mit zu seinen Patienten. Das anfangs schwächliche Mädchen entwickelte sich zu einer klugen Frau, die ein emanzipatorisches Buch schrieb, den verwitweten Pfarrer der Neustadt heiratete, 5 Stiefkinder und 4 eigene Kinder großzog und nebenbei die Praxis ihres verstorbenen Vaters führte. So viel weibliches Engagement war den (durchweg männlichen) Ärzten von Quedlinburg ein Dorn im Auge: Sie klagten Dorothea der medizinischen Pfuscherei an, weil sie keine ausgebildete Ärztin wäre. Das ließ sich Frau Erxleben nicht gefallen. Sie beantragte bei König Friedrich II. die Erlaubnis zu studieren. Er erteilte sie, und 1754 legte Dorothea Christiane Erxleben als erste Frau in Deutschland ihre Promotion im Fach Medizin ab. Erst gute 150 Jahre später konnten Frauen in Deutschland regulär Medizin studieren. Acht Jahre konnte Dorothea noch professionell als Ärztin in Quedlinburg praktizieren. Am 13.06.1762 starb sie mit nur 46 Jahren. Sie war eben doch eine zarte Pflanze. Heute kann man sich an vier Orten in Quedlinburg an sie erinnern: Im Klopstockhaus, wo es eine Ausstellung über ihr Leben und Werk gibt, in ihrem Geburtshaus im Steinweg 51, am Harzklinikum Dorothea Christiane Erxleben sowie im Schlossgarten. Schauen Sie doch mal vorbei. Diese große Tochter unserer Stadt ist es wert, erinnert zu werden und ist auch heute noch ein Vorbild für Frauen.
Bild: Ostern auf dem Weg in die Sächsische Schweiz. © Sigrid Marotz. Vielen Dank an das DDR Museum Berlin (www.ddr-museum.de) für das Foto.
Mit dem Oktober beginnt die Wander- und die Pilze-Suchzeit im Harz. Unser Objekt des Monats Oktober kennt vermutlich jeder, der vor 1980 in der DDR geboren ist: den Wanderrucksack für Kinder. In das Depot der Welterbestadt Quedlinburg kam das Objekt vor etwa 10 Jahren, als das ehemalige Clubzimmer im Rathaus aufgelöst wurde. In den dortigen Schränken befanden sich diverse Gegenstände aus der DDR-Zeit, wie Gedenktaler und Wimpel, die alle in die Städtische Sammlung aufgenommen wurden. Aufgrund der thematischen Schwerpunkte der Städtischen Museen wurden sie bisher nicht in den hiesigen Ausstellungen gezeigt.
Der kleine rot karierte Kinderrucksack trägt mittig einen Aufnäher, der einen Igel-Wandersmann, den berühmten Mecki, am Wegweiser zu den vier großen Urlaubsgebieten der DDR Harz, Ostsee, Thüringen und Erzgebirge zeigt. Zum rotkarierten gibt es in den Städtischen Sammlungen noch ein Pendant in grau, ebenfalls mit diesem Aufnäher versehen. Verkauft wurden Wanderrucksäcke damals eigentlich ohne Aufnäher. Die kaufte sich der kleine oder große Wanderer im Urlaubsgebiet als Souvenir und nähte diese dann selbst auf seinen Rucksack.
Zur Herkunft der Objekte, die vermutlich mit dem Kulturbund der DDR und seiner Fachgruppe „Touristik und Wandern“ in Verbindung stehen, gab es bei der Aufnahme in das Depot keine Informationen. Das Preisschild am Kinderrucksack verrät zumindest: Er wurde in Görlitz gefertigt, in einem Textilwerk mit dem Kürzel LP, und er kostete 15,20 Mark – für damalige Verhältnisse sehr viel Geld. Eine Anfrage beim Archiv der Stadt Görlitz brachte kein Ergebnis zu dieser Produktionsstätte. Viele Befragte, denen der Rucksack gezeigt wird, kennen ihn aus Kindheitstagen. Jedoch kann sich niemand erinnern, wo es ihn zu kaufen gab. Oder wurde er vielleicht für besondere Leistungen, z. B. beim Wandern oder beim Papier sammeln, vergeben?
Bild: Huldigungsschrift für Äbtissin Marie Elisabeth, Herzogin von Holstein-Gottorp, 21. März 1740, 36 x 22 cm. Quedlinburg, Historisches Archiv der Welterbestadt Quedlinburg, Rep. 33. Foto: Antje Löser.
Gerade aus Anlass einer Restaurierung schauen sich Museumsmitarbeiter ihre Objekte noch einmal ganz genau an, prüfen den Objektzustand und die Inventareinträge und vervollständigen sie. Auch wenn die Objekte lange schon im eigenen Bestand sind, wie das Gemälde der Äbtissin Marie Elisabeth von Holstein-Gottorp, entdeckt man immer wieder Neuigkeiten. Zumal sich der Bestand der Städtischen Museen und des Archives der Welterbestadt Quedlinburg auch ändert.
Vor nicht allzu langer Zeit erhielt das Historische Archiv der Welterbestadt aus privater Hand eine Schenkung von Dokumenten, die mit der Geschichte unserer Welterbestadt zu tun haben. Darunter auch unser aktuelles Objekt des Monats, eine sogenannte Huldigungsschrift aus Anlass des Geburtstages der Quedlinburger Äbtissin Marie Elisabeth. Es handelt sich um einen vierseitigen Geburtstagsglückwunsch, der mit großer typographischer Sorgfalt und Dekor für „Maria Elisabeth, Erbin zu Norwegen, Herzogin zu Schleswig-Holstein, Stormarn und der Dittmarsen, des Kaiserl. freien weltlichen Stiftes Quedlinburg Äbtissin, Gräfin zu Oldenburg und Delmenhorst“ anlässlich des 62. Geburtstages, welcher am 21. März 1740 war, gedruckt und verteilt wurde. Er enthält eine einseitige Huldigung und ein dreiseitiges Gedicht.
Mit einem solchen Dokument kann man nicht nur die damalige Wertschätzung der gehuldigten Person nachvollziehen, man erhält auch wichtige Detailinformationen: Die Huldigungsschrift nennt nicht nur das Geburtsjahr, sondern auch den genauen Geburtstag und sämtliche Titel der Äbtissin. Weiterhin verrät dieser Druck, dass es zu dieser Zeit eine Stifts-Buchdruckerei in Quedlinburg gab, sie von Andreas Bernhard Calvisius in Auftrag gegeben wurde und der Druck durch einen Gottfried Heinrich Schwan erfolgte. Mit detektivischem Spürsinn schauten die Kollegen des Archives weiter in ihre Findbücher und fanden spannendes: Die genannte Stifts-Buchdruckerei z.B. war „ufn Kirchhofe“ (Auf dem Benedicti-Kirchhof), dem jetzigen Marktkirchhof 10 ansässig. Auch zu dem Auftraggeber Andreas Bernhard Calvisius ließ sich im Historischen Archiv ergänzend etwas finden. Er war ernannter Konventual des Klosters Michaelstein, d. h. ein stimmberechtigtes Mitglied der Klosterversammlung. Aus Dankbarkeit darüber, dass er die „Stiftische Collegiaten-Stelle“ durch die Äbtissin erhielt, gab er den Druck in Auftrag. Forscht man nun in den Häuserbüchern der Stadt Quedlinburg weiter, findet man Anfang des 18. Jahrhunderts eine Familie Calvisius in welcher es einen Konsistorialrat und „Past.(oris) Benedicti“ gab. Die Familie war damals in der Hohen Straße 8 ansässig.
Durch den glücklichen Umstand, dass in Quedlinburg Museum und Archiv verwaltungstechnisch und räumlich zusammengehören, können die Kollegen mit ihrer manchmal detektivischen Arbeit einem Bild eine Geschichte und den schriftlichen Dokumenten ein Gesicht geben – wie im geschilderten Fall. Auf diese Art und Weise lassen sich viele Verknüpfungen von Familien, der Geschichte unserer Stadt und dem Stift herstellen und zur Erforschung unserer Geschichte beitragen.
Bild: Quedlinburg, Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt. Foto: Franziska Schott, Halle/Saale.
Das Objekt des Monats August, das noch bis zum Februar dieses Jahres im Quedlinburger Schlossmuseum hing, ist eine Dame, von der wir weder Namen noch Herkunft kennen. Sie gehört zu den drei ersten Damen des Quedlinburger Schlossmuseums, die sich für die Neupräsentation des Stiftsbergensembles in drei Jahren bereits jetzt schön machen ließen. Alle drei kehren nach einer aufwendigen Restaurierung in das Depot der Städtischen Museen der Welterbestadt Quedlinburg zurück.
Auf dem nahezu lebensgroßen Ölgemälde blickt uns seit über 250 Jahren eine unbekannte Dame mit stolzem und wachem Blick an. Sie trägt eine silbrig-weiße „robe à la française“, ein kostbares Kleid im französischen Stil mit sehr starker Taillierung und aufwendigen aufgesetzten Dekorationen an der Schnürbrust und den Ärmeln aus unzähligen Rüschen und Schleifen. Diese sind, wie auch die fünflagigen Ärmelvolants, aus kostbarer Klöppelspitze ausgeführt. Über der linken Schulter liegt ein Teil eines Mantelüberwurfes, der im Gegensatz zur Leichtigkeit der hellen Klöppelspitze des Kleides aus schwerem dunkelblauem Samt gearbeitet ist.
Die Form des Kleides und die verschwenderische Verwendung der Klöppelspitze sprechen für eine Entstehung des Bildes zwischen 1750 und 1770. Berühmte Frauen wie Madame de Pompadour (†1764) trugen solch kostbare Kleider. Damit sind wir in der Zeit des Rokokos und in den Kreisen des europäischen Hochadels. Im Rokoko, einer Stilrichtung französischen Ursprungs, die sich vor allem nach der Epoche des Sonnenkönigs Ludwig XIV. (†1715) am dortigen Hof entwickelt hatte, wich der prunkvolle monumentale Stil des Barock in allen Bereichen des Alltags einer spielerischen Gelöstheit, einer fantasievollen dekorativen Eleganz und einer anmutigen Schönheit.
Auffallend ist der sehr üppige Perlenschmuck den die unbekannte Schönheit trägt. Während die Art des Haarschmuckes und die der Ohrringe öfter bei Darstellungen hochadliger Damen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anzutreffen sind, ist das üppige zweilagige Collier eine Besonderheit. So aufwendigen Halsschmuck trugen eher Damen aus spanischem oder italienischem Adel. Zudem waren Perlen im 18. Jahrhundert selten und kostbar, der Großteil kam aus dem Orient oder über Spanien aus der Neuen Welt, kleinere Perlen auch aus heimischen Gewässern. Getragen werden durften Perlen im 18. Jahrhundert nur vom Hochadel. Die Perle hatte einen tiefen Symbolcharakter und stand für Reinheit, Weisheit und Kinderreichtum. Aus diesem Grund wird Perlenschmuck auch heute noch bei Hochzeiten getragen.
Die rätselhafte Schönheit gehörte also ganz offensichtlich zum europäischen Hochadel der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert. Zu dieser Zeit steuerten zwei große Frauen die Geschicke des Quedlinburger Damenstiftes: Marie Elisabeth von Holstein Gottorf (1718-1755) und Anna Amalie von Preußen (1756-1787). Ob die unbekannte Dame tatsächlich eine Stiftsdame in Quedlinburg, gar eine Äbtissin war oder zur Familie der Äbtissinnen gehörte, können wir noch nicht sagen.
Das Bild gehört zum Altbestand der Städtischen Museen der Welterbestadt Quedlinburg. Es wurde im Jahr 1904 vom Königlichen Superintendenten Ludwig Busch (†1910) aus dem Nachlass seiner Frau Johanna Oelert der Stadt Quedlinburg geschenkt.
Friedrich Gottlieb Klopstock war nicht nur ein großartiger Dichter. Als begeisterter Sportler seiner Zeit machte er das Eislaufen bekannt und sogar literaturfähig. Im Klopstockhaus sind seine Schlittschuhe ausgestellt, die er "Schrittschuhe" nannte, weil ihn der Eislauf an das rhythmische "Schreiten" der Dichtung Homers erinnerte.
Zwar kann der Harz kalt und winterlich sein, aber hier in Quedlinburg hat Klopstock das Eislaufen nicht gelernt, sondern in Dänemark. Dort lebte er fast 10 Jahre. Er folgte dem Ruf des dänischen Königs, der begeistert von seinem Werk war und die Fertigstellung von Klopstocks „Messias“ förderte. Die Natur im hohen Norden beeindruckte ihn stark und man konnte den jungen Klopstock des Öfteren über gefrorene Seen gleiten und manchmal sogar Eislaufunterricht geben sehen. Mehr noch: Klopstock brachte den Eislauf in Mode, und schrieb Oden auf den winterlichen Sport. Ein Gedicht trägt sogar den Namen:
„Der Eislauf“
Unsterblich ist mein Name dereinst!
Ich erfinde noch dem schlüpfenden Stahl
Seinen Tanz! Leichteres Schwungs fliegt er hin,
Kreiset umher, schöner zu sehn.
(Auszug)
Die ersten, die Klopstock nacheiferten, waren junge Adelige. Sogar Madame de Pompadour und später Napoleon selbst schnallten sich die damals noch abenteuerlichen Modelle aus Holz, Knochen und Eisen unter die Füße. Auch Dichter und Denker propagierten die Bewegungen in Frost und freier Natur als gesundes, dem Denken förderliches Hobby. Allen voran GutsMuths, der den Eislauf in seine Texte und seinen Unterricht integrierte. Allein Klopstock verwandelte sein liebstes Wintervergnügen von der technischen Sportart des Schrittschuhlaufens in den ästhetischen Eistanz.
Wie das Eis hallt!
Wie fliegst du dahin!
Drum gib dem Tanz Melodie.
zur Linken wende du dich, ich will
Zu der Rechten hin halbkreisend mich drehn;
Nimm den Schwung, wie du mich ihn nehmen siehst.
Zu besichtigen sind Klopstocks Schrittschuhe im Klopstockhaus, Schlossberg 12, geöffnet Mittwoch bis Sonntag, 10-17 Uhr.
Bild: Quedlinburg, Städtische Museen und Archiv der Welterbestadt. Foto: Christian Müller M.A. Das Bild gehört zu einer kleinen Serie von vier Gemälden Voigts.
Das Objekt des Monates Juni ist keine große Sensation, sondern ein kleines Gemälde aus dem Schlossmuseum, das derzeit im Depot lagert. Sein besonderer Stellenwert liegt in der sehr detailgetreuen Darstellung der Stiftsbergarchitektur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Im Vordergrund gibt die Bebauung der Fachwerkstadt den Blick frei auf den unteren Schlossberg mit der ursprünglichen „Alten Wache“. Eine Kutsche mit Sechsergespann und bewaffneter Eskorte – vielleicht hoher Besuch für die Äbtissin Anna Amalia (1756-1786) oder gar die Äbtissin selbst – setzt sich in Bewegung. Die steile Auffahrt auf den Schlossberg war mit einem einfachen Gespann nicht zu überwinden. Kinder bestaunen das Geschehen, Bauarbeiter reparieren die Pflasterung, Schafe weiden auf den Hängen des Schlossberges und Katzen schleichen über die Dachfirste um Vögel zu fangen.
Nicht nur diese lebensnah geschilderten Szenen sind bemerkenswert, das Bild dokumentiert auch sehr genau die bauliche Gestalt des Stiftsbergensembles in seiner letzten Blütezeit. In elfenbeinfarbigem Ton erhebt sich der massive Komplex hoch über der Bergkuppe des Schlossfelsens. Das Konglomerat an eng aneinandergefügten Bauteilen aus unterschiedlichen Epochen mit sehr vielgestaltigen Dachformen erscheint durch die gleiche helle Farbgebung aller Teile als ein großes mächtiges Bauwerk. Architektonische Details wie an den drei großen geschwungenen Giebeln der Nordseite, dem Schmuckgiebel des Westflügels mit Zinnenzier (um 1860 abgetragen), die bossierten Gebäudekanten und die Fenstereinfassungen sind heller gefasst.
Eine große, massive Architektur war die von den Äbtissinnen des 18. Jahrhunderts beabsichtigte Wirkung ihrer Residenz während der letzten großen Umgestaltungsarbeiten zwischen 1718 und 1755 – nicht die Sichtbarkeit von Fachwerk oder wiederverwendetem und ausgebessertem Baumaterial, wie man es seit Jahrzehnten sehen kann.
Allerdings nicht mehr lange. In enger Abstimmung mit den Denkmalpflegebehörden wurde entschieden, der Intention der Äbtissinnen wieder zu folgen und im Rahmen der aktuell laufenden Sanierungsarbeiten den Stiftsgebäuden wieder ihren erhabenen Charakter zurückzugeben, so wie es Voigt Ende des 18. Jahrhunderts auf unserem kleinen Bild dokumentiert hat. Im Mai werden die Gerüststellungen auch um den West- und Südflügel gezogen. Nutzen Sie also die letzte Gelegenheit, die Stiftsgebäude ohne ihre eigentliche elfenbeinfarbene Hülle zu betrachten. In nur knapp zwei Jahren werden wir die Bilder Voigts wieder hervorholen und vergleichen können.
Ein kleines Bild mit großer Bedeutung.
Über den Künstler wissen wir so gut wie nichts. 1786 veröffentlichte Stadtsyndikus Gottfried Christian Voigt eine dreibändige Geschichte des Stiftes Quedlinburg und verwendete darin Kupferstiche von seinem Bruder C.C. Voigt. Wir vermuten, dass dieser C.C. Voigt auch der Schöpfer des Gemäldes vom Quedlinburger Schlossberg ist.
Das Objekt des Monates ist im Mai ein echtes Fundstück aus dem Schlossmuseum. Während der aktuell laufenden Reinigungsarbeiten im Dachstuhl des Residenzbaus wurde ein großes loses Putzstück unter Bauschutt gefunden, das nach seiner Reinigung für einiges Erstaunen sorgte. Auf dem ca. 100 cm breiten und 50 cm hohen Lehmputzfragment sind mit weißer, roter und blauer Tusche Ornamente, Architekturfragmente und ein geflügeltes Fantasiewesen als Brunnenfigur auf den blaugrau grundierten Putz gemalt. Die Ornamente und die Art der Ausführung sprechen für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Woher das Putzfragment jedoch genau stammt, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Im Dachstuhl des ehemaligen Damenstiftes waren über drei Etagen die Zimmer der Bediensteten und die Zimmer der Schülerinnen der Stiftsschule untergebracht. Während vieler Umbauten und der Sanierungsarbeiten der letzten 100 Jahre sind die Wände und Fußböden dieser Zimmer abgebrochen worden und größtenteils verschwunden.
Ebenso rätselhaft wie seine Herkunft bleibt auch der Grund für dieses barocke Graffiti. Ob es eine Übung im perspektivischen Zeichnen, ein Teilentwurf für eine neue Architektur oder nur Fantasie ist, kann nicht mehr gesagt werden. Dass das Putzfragment jedoch aufgehoben wurde, spricht für seine Einzigartigkeit in den ehemaligen Dachstuben.
Wenn ihr Hinweise zu diesem rätselhaften Objekt habt, sendet diese bitte an die Städtischen Museen der Welterbestadt Quedlinburg:
Tel. 03946-905681 oder museen@quedlinburg.de