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Risskante

250 Jahre Samenzucht in Quedlinburg

Die IG Saatzucht im KHV Quedlinburg informiert - Gastbeitrag von Dr. Rolf Bielau

Martin Grashoff | Preisverzeichnis 1917

Ein Vierteljahrtausend Pflanzenzüchtung, Samenbau und -handel in Quedlinburg. Wie die Zeit vergeht! Und wie begann das? Ein Grund zu einem Rückblick, denn dieser Wirtschaftszweig bildete den Grundstock für ein Aufblühen der heimischen Wirtschaft, Tausende Arbeitsplätze, Steuereinnahmen. Die Samenzucht prägte die stetige Vergrößerung der Stadt mit vielen markanten das Straßenbild bestimmenden Villen, Betriebshöfen, Wohnhäusern und ehemaligen Zuchtgärten und machte Quedlinburg weltberühmt! Die Bahnlinie Halberstadt -Thale mit einem eigenen Bahnhof in Quedlinburg wurde 1862 auch auf Drängen der großen Saatzuchtbetriebe errichtet. Heute ist dies hinter dem Welterbetitel und der Fachwerkkunst leider zu Unrecht in den Hintergrund getreten. Das Jahr 2021 sollte ein Grund für eine Rückbesinnung auf die Leistungen , Dankbarkeit an die Firmengründer und deren MitarbeiterInnen sowie ein optimistischer Ausblick in die Zukunft sein.

Parallel begründeten erste erfolgreiche Quedlinburger Samenzüchter eine Tradition des mitteldeutschen Samenbaus im Deutschen Reich. Es wurde eine Wiege der deutschen Pflanzenzüchtung! So wird in diesem Jubiläumsjahr der geplanten Quedlinburger Züchterpfad hoffentlich eröffnet.

Marin Grashoff | Anzeige

Die ehemalige Firma Grashoff hat nicht ohne Grund die Stationsnummer 1. Im Jahr 1771 legte Johann Andreas Grashoff mit seinen garten- und samenbaulichen Arbeiten den Grundstein für die später erfolgreiche Entwicklung einer Grashoffschen Samenwirtschaft. Er war verheiratet mit Marie Elisabeth (geb. Sachtleben). Die Familien Sachtleben waren als Gärtner und Samenbauer mindestens seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Quedlinburg seßhaft. Ihre Gärtnerei „Am Kleerse“ und die repräsentativen Wohnbauten im Harzweg zeugen von einem gewissen Reichtum. Sie heirateten in andere Gartenbau-  und Samenbaubetriebe ein, bzw. die Töchter wurden geheiratet. Seit 1330 wird der Name Grashoff urkundlich in Quedlinburg erwähnt. Der Namen wurde verschieden geschrieben, auch Graßhoff oder Grasshoff. Die Grashoffs zählen zu den ersten und ältesten Bürgergeschlechtern der Stadt. In der Zeit zwischen 1445 bis 1659 wurden aus der Familie fünf Bürgermeister und mehrere Ratsherren für Quedlinburg gewählt.

Der Grashoff'sche Wirtschaftshof befand sich in der Langen Gasse 11/12. Das Anwesen der  Grashoff lag am Ende einer Sackgasse. Um es von den anderen Grashoffschen Gartenbaubetrieben zu unterscheiden, nannte es der Volksmund „Grashoff im Sack“.

Hof Lange Gasse 12 | Martin Grashoff

Beim Blick auf den Hof läßt sich noch der Zweck des Hofes erahnen. Als einer von zahlreichen Lehrjungen ging Gustav Adolf Dippe 1837 bis 1840 bei Grashoff in die Lehre.

Obwohl bereits vor 1840 Gemüseerbsen und Blumensamen produziert wurden, begann der Aufschwung des Unternehmens mit dem Sohn Martin Jakob Grashoff, (1797 bis 1866). Bereits 1841, und damit fast gleichzeitig mit der Firma Mette (1836) brachte Martin G. erste einheimische Samen - Verzeichnisse heraus. Jedoch bewarb der heimische Samengärtner Gottlieb Samuel Rögner schon 1825 in überregionalen Zeitungen seine Sämereien. Nach der Übernahme des väterlichen Betriebes vergrößerte Martin G. das Grundeigentum auf 87ha und pachtete zusätzlich 250 ha in der umliegenden Feldflur. Er errichtete auch das erste Glasgewächshaus in Quedlinburg. 1864 wurde er zum Königlichen Oberamtmann ernannt und bekam um 1864 den Hohenzollernorden. Martin Grahoff erkannte schnell die Bedeutung der Zuckerrunkelrübe und beschäftigte sich mit der Züchtung und dem Handel dieser Profit versprechenden Kulturpflanze.

Die Ehe von Martin Jakob G. blieb kinderlos. Nach seinem Tod in der Quedlinburger Cholera Epidemie 1866 übernahm sein Vetter Ernst Hermann Grußdorf die Firma und führte sie unter dem Grashoffschen Namen weiter. Erst nach dem Konkurs der Firma Martin Grashoff 1929 erlosch der Firmenname und sein Sohn Alexander Grußdorf gründete die eigene Firma A.Grußdorf.

 

Lange Gasse 12 (aktuell) | Martin Grashoff

Mit dem Namen Martin Grashoff verbunden war auch David Sachs ( 1836 bis 1918 ). Er arbeitete um 1870 als Buchhalter bei der Witwe des Oberamtsmann Grashoff, Samenzüchtung in Quedlinburg. Im Jahre 1872 kam er aus Gernrode. Als preußischer Untertan und jüdischen Glaubens gründete er 1878 die gleichnamige Samenzüchterei in der Kleersstrasse Nr.47und vergrößerte sie rasch um die Grundstücke 48/49 sowie 51/52 mit Sitz des Unternehmens im Badeborner Weg 4.

Ein weiterer Pionier der Saatzucht absolvierte 1750 bis 1753 im stiftlichen Abteigarten als Kunst-Lust- und Handelsgärtner beim bestallten Hof- und Lustgärtner Johann Heinrich Ziemann seine die Lehrjahre. Es war der spätere Firmen- und Familiendynastie-Gründer Johann Peter Christian Heinrich Mette. Nach den obligatorischen Lehr- und Wanderjahren kam er 1770 zurück in seine Heimatstadt. Dort betrieb er eine kleine Gärtnerei. Der im September 1783 abgeschlossenen Pachtvertrag mit der 38.Äbtissin über ca.12ha guten Gartenboden, dem Dechaneigarten südöstlich des Schlossberges im Westendorf gestattete ihm seine Vorstellungen zur Samenzucht umsetzen. 1884 gründete er die Samenzüchterei Mette. Gefördert durch die Auflösung des Freiweltlichen Reichsstiftes auf dem Schloßberg 1806, deren Verkauf von Ländereien in der Feldflur und Freiheit vom Flurzwang der Dreifelderwirtschaft, schufen die Kunst- u. Handelsgärtner in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche später deutschlandweite und weltbekannte Unternehmen. Der revolutionäre Siegeszug der Runkel- später Zuckerrübe erzeugte eine Nachfrage nach Rüben mit hohem Zuckergehalt für die später 50  gegründeten Zuckerfabriken zwischen Braunschweig und Nordhausen. Davon profitierte Quedlinburg mit der ersten funktionsfähigen Zuckerfabrik von Hahnewald & Zerbst ab 1834 im Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen. Zehn Groß- und mittelständische Saatzuchtfirmen verdienten mittels umfangreicher Neuzüchtungen und Vermehrungen des Rübensaatgutes im Ausland bis 1945 hohe Profite. Die Gebr. Dippe AG, Heinrich Mette und David Sachs, ab 1937 Rudolph Schreiber & Söhne, dominierten diesen Wirtschaftszweig. Landwirtschaftliche Kulturpflanzen, wie Getreide und Kartoffeln und Gemüse-,Blumen und Gewürz-/Heilkräuter trugen den Namen Quedlinburg als eines bedeutsamen Zentrums deutschen Pflanzenzüchtung in alle Welt.

In der DDR war die VVB Saat- und Pflanzgut das Zentrum der Pflanzenzüchtung und des Samenhandels. Es war das größte SaatgutImperium in Deutschland. Das Institut für Pflanzenzüchtung/ab 1972 Inst. f. Züchtungsforschung wurde 1947 gegründet. Seine Wurzeln lagen in der Forschungsabteilung der Gebr. Dippe und den dortigen hochmotivierten Mitarbeitern , wie Gustav Becker, Eugen Claus, Paul Vogel. Eva Pauly und Friedrich Fabig kamen aus der Firma Schreiber.

Das VEG (Saatzucht) „August Bebel“ mit über 3000 ha Zucht- und Vermehrungsflächen um Quedlinburg entstand aus zahlreichen enteigneten privaten Saatzuchtfirmen. Heute sind noch wenige private Firmen weltweit aktiv. Als Deutsche Saatzucht-Gesellschaft 1946 gegründet, blieb in Quedlinburg ein Teil dieser  Einrichtung nach Umbennung in VEB Saat- und Pflanzgut, gartenbauliche Kulturpflanzenarten, bis zur Auflösung 1990, die Zentrale für den nationalen und internationalen Handel der DDR mit gartenbaulichem Saat- und Pflanzgut. Das Julius-Kühn-Institut, JKI, ist die Bundeseinrichtung für die deutsche Züchtungsforschung mit Sitz auf dem Moorberg, einem ehemaligen Zuchtgelände der Gebr. Dippe AG.

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